Symphonie der Herzen
Eures verehrten Vaters gut nachvollziehen. Und wie gesagt: Meiner Meinung nach hat Lord John definitiv das Zeug zu Höherem.«
Genüsslich verspeiste Louisa unterdessen zwei der kleinen Sandwiches und ein Petit Four. Anschließend nahm sie mit graziösen Gesten ihre Serviette auf, tupfte sich die Lippen ab und erhob sich, während sie nach ihrem roten Sonnenschirmchen griff. »Ich danke Euch für den köstlichen Tee«, verabschiedete sie sich mit formellem Nicken, um dann ein wenig verunsichert hinzuzufügen: »... und für das Arrangement.«
»Euer Wunsch ist mir Befehl«, erwiderte James deutlich gelassener und stand ebenfalls auf.
Mein Wunsch ist Euch Befehl?, spottete Louisa im Stillen. Dass ich nicht lache! Denn nach meiner Aufführung wird es ja wohl genau umgekehrt sein; dann bin ich diejenige, die sich Euren Wünschen zu fügen hat. Laut hingegen erwiderte sie: »Auf Wiedersehen, Mylord. Ich denke, man sieht sich dann kommenden Mittwoch.«
Am Dienstagabend zog Louisa sich schon ungewöhnlich früh zurück. Doch sie begab sich noch lange nicht zu Bett. Stattdessen übte sie noch einige Stunden lang die Schrittfolgen und die Texte der Lieder. Und als sie sich dann endlich hinlegte, war sie noch immer viel zu aufgeregt, um schlafen zu können, und ging im Geiste schier unzählige Male ihren Auftritt durch. Immer wieder ließ sie vor ihrem geistigen Auge sämtliche Szenen der Aufführung Revue passieren. Nur an eines mochte sie nicht denken: An den Moment, wenn der Vorhang fiel und sie sich Abercorns Wünschen zu unterwerfen hatte.
Am Mittwoch holte James sie wie versprochen gleich nach dem Mittagessen ab, und gemeinsam machte man sich auf den Weg ins Covent Garden Theatre. Ehe sie aber durch den Bühneneingang das Theater betraten, setzte Lu ihre rote Perücke auf und stopfte ihre dunklen Locken unter die künstliche Pracht.
Galant begleitete James sie bis in die Garderobe, wo Kitty sie bereits freudestrahlend erwartete.
»Ihr könnt Euch die Vorstellung heute Nachmittag von hinter der Bühne aus anschauen«, begrüßte sie Lu. »Und die anderen Mädchen habe ich auch schon informiert. Ich habe ihnen bereits gesagt, dass Ihr an diesem Abend meinen Part spielen werdet. Und was die Hauptdarsteller angeht - macht Euch um die mal keine Sorgen, Jane. Die gucken sowieso nicht nach uns einfachen Chormädchen und werden es somit gar nicht bemerken, wenn wir für einen Abend die Plätze tauschen.«
»Ich danke Euch, Kitty«, war alles, was Louisa herausbrachte. Sie war so aufgeregt, dass sie kaum noch atmen konnte.
Unterdessen nahm James ihr vorsichtig den Umhang ab und hängte ihn an einen der Garderobenhaken. »Und sonst alles in Ordnung mit Euch?«
Lu nickte einmal, während ihre Augen so hell glitzerten wie Sterne.
»Dann lasse ich Euch jetzt wohl besser allein.« Ehe er ging, beugte er sich jedoch noch einmal dicht über Louisa und flüsterte ihr ins Ohr: »Gebt alles und zeigt’s Ihnen, Lady Lu.«
Louisa aber schwieg ein wenig verunsichert und wandte sich stattdessen Kitty zu, die gerade in ihr skandalöses Kostüm schlüpfte. »Wie habt Ihr Euch eigentlich kennengelernt, Miss Kitty? Seid Ihr schon lange miteinander befreundet?«
»Wir haben als Kinder zusammen gespielt«, antwortete Kitty ganz arglos und freiheraus, ehe sie sich mit kritischem Blick wieder ihrem Spiegelbild widmete.
Dann sind sie also bloß alte Freunde aus Kindertagen! Am liebsten hätte Lu laut gejauchzt. Sie ist also gar nicht seine Geliebte! Fast schon wäre ihr schwindelig geworden vor lauter Erleichterung, und mit bebenden Knien ließ Louisa sich auf einem der Stühle nieder.
Wenig später erhielten die Mädchen das Zeichen, sich auf ihre Plätze zu begeben, und unter leisem Gekicher eilten sie auf die Bühne. Lu folgte ihnen in einigem Abstand und suchte sich einen Platz gleich rechts neben dem Seitenaufgang. Lautlos sang sie die Texte mit und bewegte nur die Lippen, während sie die tänzerische Darbietung ihrer Kolleginnen begutachtete. Irgendwie fehlt ihrer Aufführung die Lebendigkeit, dachte sie. Es sieht so aus, als ob sie die Schritte schon tausendmal durchgegangen wären und ihr Repertoire nun nur noch abspulen. Man merkt ganz einfach, dass das alles für sie mittlerweile bloß Routine ist. Wie schade.
Die Hauptakteure des Brigand hingegen spielten ihre Rollen nach wie vor voller Enthusiasmus. Louisa genoss es, ihnen beim Spiel zuzusehen, zumal ihr Platz neben der Bühne ihr ein noch eindringlicheres Erlebnis der
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