Symphonie der Herzen
mir jetzt auf der Stelle, wo der Marquis von Abercorn wohnt, oder Ihr bekommt die Spitze meines Sonnenschirms zu spüren!«
Wortlos deutete der Bedienstete auf das gegenüberliegende Anwesen und nutzte den Moment, als Louisa sich umdrehte, um schließlich doch noch die Tür ins Schloss zu werfen.
Zielstrebig ging Louisa auf das ausgewiesene Haus zu und klopfte einmal an die Tür. Wenig später erschien auch hier ein Diener; diesmal aber war Lu bereits gewappnet. Mit blitzenden Augen richtete sie die Spitze ihres Sonnenschirms auf ihn und drohte: »Ich bin Lady Louisa Russell. Und ich möchte den Marquis von Abercorn sehen. Ihr werdet mich ihm jetzt sofort ankündigen, oder ich -«
Der Diener aber grinste nur und fiel ihr ins Wort: »- oder ich bekomme gleich die chinesische Folter zu spüren, richtig? Habe schon verstanden, Mylady. Folgt mir einfach, wenn ich bitten darf.«
Verdutzt betrat Lu die Eingangshalle. »Was, bitte schön, ist denn die chinesische Folter«, hakte sie neugierig nach.
»Nun, ich würde mal sagen«, nuschelte ihr Gegenüber mit fröhlichem Grinsen, »das ist, wenn Ihr mir Euern Sonnenschirm in den Allerwertesten geschoben hättet, um ihn dann - aufgespannt! -wieder rauszuziehen.«
Lu musste sich sehr beherrschen, um nun nicht in schallendes Gelächter auszubrechen, als von oben plötzlich eine herrische Stimme erschallte: »Phineas!« Polternd kam James Hamilton die Treppe hinuntergerannt, um seinem Diener die Leviten zu lesen. »So spricht man doch nicht mit einer Dame! Bitte entschuldigt, Lu. Er ist manchmal etwas vorlaut. Kommt doch mit hinauf.«
Noch immer musste Louisa leise lächeln, folgte James aber ohne Zögern ins Obergeschoss. »Na, wer hätte denn gedacht, dass ich das noch mal erlebe?«, sagte sie. »Ein Ire entschuldigt sich für seinen Landsmann!« Doch James schwieg.
Oben angekommen führte er sie sogleich in einen geschmackvoll eingerichteten Salon; Lu allerdings lehnte es ab, auf dem ihr angebotenen Sessel Platz zu nehmen, und schaute ihren Gastgeber stattdessen nur mit vielsagendem Blick an.
James ahnte sofort, warum Louisa zu ihm gekommen war. Tatsächlich hatte er sogar schon auf sie gewartet. Denn genau wie damals, als sie sich vor vielen Jahren das allererste Mal begegnet waren, so hatte er ihr auch diesmal wieder eine Marzipanmaus angeboten. Und auch wenn Louisa sich zunächst ein wenig zierte, so war James doch von Anfang an überzeugt gewesen, dass sie am Ende doch noch anbeißen würde.
»Ich habe mich entschlossen, es zu tun!«, platzte es dann ohne jede Vorwarnung auch schon aus ihr heraus. Fast schien es, als ob sie sich ein wenig vor ihrer eigenen Courage fürchtete.
James aber tat so, als ob er nicht wüsste, wovon sie spräche. »Ihr habt Euch entschieden, was zu tun, Lady Russell?«
»Na, dass ich für eine Nacht Kittys Rolle im Covent Garden übernehme.« Misstrauisch schaute sie ihn an. »Das heißt, falls es bei Eurer Zusage bleibt und Ihr noch immer der Meinung seid, das für mich arrangieren zu können.«
»Vertraut mir«, versprach Abercorn. »Das ist ein Kinderspiel für mich.«
Nun, dachte Lu ein klein wenig verdrießlich, wenn Ihr euch da dermaßen sicher seid, dann muss sie wohl Eure Geliebte sein. Warum sollte sie das Risiko eingehen, für einen Abend ihre Rolle aufzugeben und mich an ihrer statt auf die Bühne zu lassen?
»Nun, sofern auch Ihr Euch wirklich traut: Welcher Abend wäre Euch denn am liebsten?«, fragte James, ganz Advocatus Diaboli. »Ihr habt die Wahl. Wichtig ist nur, dass keiner Verdacht schöpft, wenn Ihr eine ganze Nacht lang nicht nach Hause kommt.«
Beinahe hätte Louisa überrascht aufgeschrien: Eine ganze Nacht? Dann aber erinnerte sie sich wieder, dass sie diese Nacht ja mit ihm verbringen würde. Andererseits, so versuchte sie sich selbst zu beruhigen, wäre doch selbst das noch immer ein ziemlich bescheidener Preis dafür, dass sich für sie auf diese Weise endlich ihr Lebenstraum erfüllte. Zumindest, wenn man die Sache mal ganz nüchtern betrachtete. Leider aber war Louisa kein nüchterner Mensch, sondern ganz im Gegenteil eine höchst empfindsame junge Dame, und so konnte sie sich in diesem Augenblick immer noch nicht so recht dazu entschließen, sich James nach der Aufführung einfach so hinzugeben.
»Wie wäre es denn mit Mittwoch?«, unterbrach Abercorn abrupt ihre Überlegungen. »Dann könntet Ihr Euch während der Nachmittagsaufführung noch einmal ganz in Ruhe Kittys Darstellung ansehen, und am
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