Symphonie der Herzen
Obergeschoss. Suchend schaute sie sich in dem Raum nach einem Platz für ihren Patienten um. Schließlich faltete sie das Handtuch auseinander und setzte Tara in einer der Waschschüsseln ab, die einst Kaiserin Joséphine gehört hatten. Lächelnd beobachtete James die Szenerie. Es gefiel ihm, dass der Vogel für Louisa mehr Bedeutung besaß als die kostbaren Goldschalen.
Rasch bot Louisa dem Raben noch ein Schälchen mit Wasser an, und dann eilte sie auch schon in Richtung Küche, wo sie dem Koch erklärte, was sie brauchte, und um ein scharfes Messer bat. Anschließend gingen sie gemeinsam in die Vorratskammer, wo ein Rehbock zum Abhängen von einem Haken baumelte, und vorsichtig säbelte Louisa sich ein Stückchen von seinem Fleisch ab. Sorgsam zerschnitt sie die Scheibe in viele kleine Fetzchen und trug diese zurück ins Obergeschoss zu Tara.
Der Rabe hatte sich nicht vom Platz gerührt, sondern hatte es sich in seinem Handtuch in der goldenen Schüssel bereits gemütlich gemacht; gleichwohl beobachtete er aufmerksam mit seinen leuchtend gelben Augen jede einzelne von Louisas Bewegungen. »Hallo, Tara. Du hast bestimmt noch Angst, nicht wahr? Aber ich verspreche dir, es gibt nichts, wovor du dich hier fürchten musst.« Vorsichtig legte Lu das kleingeschnittene Wild in die goldene Schüssel und trat ein paar Schritte zurück.
Louisa und James hatten gerade ihr Abendessen beendet, als Mrs Connelly einen der Stallburschen ins kleine Esszimmer führte. Der Bursche brauchte gar nichts zu sagen, sondern James ahnte bereits, dass seine Araberstute nun wohl bald fohlen würde. »Hast du Lust mitzukommen, Lu?«
Louisa zögerte einen Moment, weil die Vorstellung, bei einer Geburt dabei zu sein, sie noch immer mit Unbehagen erfüllte. Andererseits, so überlegte sie im Stillen, sollte etwas schiefgehen, dann wird James bestimmt meine Hilfe brauchen. »Ja, ich komme mit«, willigte sie schließlich ein.
Kaum dass sie den Stall erreichten, eilte James auch schon im Laufschritt zu Jasmines Box hinüber, Louisa ihm immer dicht auf den Fersen. Die Stute war sichtlich nervös und wanderte unruhig hin und her. Als sie jedoch James sah, wieherte sie leise. Er betrat die Box und strich mit der Hand einmal prüfend über den geschwollenen Bauch des Tieres.
Louisa nahm all ihren Mut zusammen und folgte ihm. »Ich nehme an, uns steht jetzt eine lange Nacht bevor, nicht wahr?«
»Warum das denn, Liebes?«
»Na, weil eine Geburt doch grundsätzlich eine ziemlich schmerzhafte und langwierige Sache ist.«
»Nicht für eine Stute. Sicherlich wird auch sie Schmerzen haben, aber nachdem die Wehen einmal eingesetzt haben, wird der Geburtsprozess in spätestens einer halben Stunde auch schon vorbei sein - anderenfalls würde das Fohlen sterben.« Rasch legte James den Überrock ab und zog vorsichtshalber auch noch sein Hemd aus. »Komm, setz dich ins Stroh. Ich glaube, es geht gleich los.« Sanft massierte er mit seinen kräftigen Händen den Bauch seiner geliebten Stute und sprach leise und ermutigend auf sie ein.
Nach ungefähr einer Viertelstunde, die Louisa aber wesentlich länger vorkam, glitt die Fruchtblase mitsamt dem Fohlen ins Stroh. Rasch riss James den Schleimhautsack auf, damit das Fohlen atmen konnte, und ein würziges Aroma erfüllte die Luft. Anschließend nahm er sein Hemd und wischte einige Schleimtropfen von seinem Rock. »Es ist ein kleiner Hengst!«, strahlte er.
Fasziniert beobachtete Louisa, wie Jasmine das kleine Fohlen beschnupperte und es immer wieder mit der Nase anstupste. Es war sofort eine innige Bindung zwischen der Stute und ihrem Fohlen zu spüren, und in Louisas Kehle bildete sich ein dicker Kloß. »Wir sind soeben Zeugen eines kleinen Wunders geworden.«
»Ja, das kann man wohl sagen«, stimmte James ihr zu. »Wie wollen wir ihn denn nennen? Wie wäre es mit Prinz soundso?«
»Nein, wir nennen ihn Sultan. Sultan, Sohn von Jasmine.«
»Perfekt. So nennen wir ihn.« Energisch reinigte James sich die Finger an einer Handvoll Stroh und richtete sich auf. Ergriffen schauten Lu und James noch einen Moment lang zu, wie das langbeinige Fohlen an den Zitzen seiner Mutter saugte, und kehrten schließlich zum Haus zurück. Während James ein kurzes Bad nahm, ging Louisa ins Boudoir und widmete sich ihrem Raben.
Inzwischen hatte sich der Vogel aus seinem Handtuch herausgeschält und hockte nun auf dem Rand der Waschschüssel. »Hallo, meine Kleine. Du bist aber ein braves Mädchen«, begrüßte Louisa den
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