Symphonie der Herzen
darum habe ich auch eigentlich gar keine Lust, London nun schon wieder zu verlassen, um Euch in Irland besuchen zu kommen. Aber wer weiß? Vielleicht sehnt er sich ja dann, wenn ich wieder da bin, nur umso mehr nach meiner Gesellschaft!
Noch immer lächelnd ließ Lu sich an ihrem Schreibtisch nieder. Das Schreiben ihrer Mutter zu beantworten fiel ihr nicht schwer; bei Georgys Brief hingegen stellte sich die Sache schon anders dar. Lu überlegte, ob sie Georgy warnen sollte, lieber nicht zu weit zu gehen mit ihrem neuesten Schwarm. Und überhaupt hätte sie ihrer Schwester am liebsten gehörig die Meinung gesagt, was deren Vorurteile gegenüber dem Bürgertum betraf. Wobei besonders Letzteres Georgy sicherlich empfindlich getroffen hätte, da Lu ja inzwischen immerhin eine echte Marquise war. Am Ende jedoch enthielt sich Lu komplett ihrer Meinung und schrieb ihrer Schwester bloß, dass sie sie vermisste und hoffte, sie schon bald in Irland begrüßen zu dürfen.
Nach dem Abendessen erinnerte Lu sich plötzlich wieder, dass in der Galerie ja noch immer eine Kiste mit Gemälden wartete.
»James, darf ich jetzt endlich sehen, welche Bilder du in England erstanden hast? Ich wüsste wirklich gerne, was du gekauft hast! Vor allem möchte ich die Bilder aufhängen, bevor meine Mutter hier eintrifft.«
Aufmerksam schaute sie zu, während James die Kiste aufstemmte. »Wie viele sind es denn?«
»Nur zwei. Aber dafür sind die Darstellungen extrem lebendig.« Schwungvoll hob er das erste der Gemälde aus der Kiste und reichte es Louisa.
Überrascht riss Lu die Augen auf. »Aber das ist ja von Edwin Landseer!«
»So ist es - und das andere übrigens auch. Ich habe die Werke gesehen, die in Woburn Abbey von ihm hängen, und vor allem das Bild, das er von dir und deinem Pferd angefertigt hat, hat mir wirklich gut gefallen. Also habe ich ihn in seinem Studio in London aufgesucht und diese beiden hier erstanden. Das hier, mit dem Titel Beim Hufschmied, ist doch wirklich gelungen, oder? Und auch diesem hier mit der weißen Araberstute und ihrem Fohlen konnte ich nicht widerstehen.«
Auch Louisa war regelrecht ergriffen von den Gemälden. »Oh, James, das Fohlen sieht ja aus wie Sultan! Edwin ist wirklich ein Genie.« Sie errötete. »Damals, als er mich porträtiert hat, war ich sogar ein bisschen verliebt in ihn. Wenig später aber hatten sich meine Gefühle auch schon wieder komplett gewandelt.«
James lachte, während er Louisa nachsichtig einmal über das Haar streichelte. »Ja, es ist schon komisch, wie man in der einen Woche noch glaubt, sich bis über beide Ohren verliebt zu haben, und dann, kurze Zeit später, fragt man sich auch schon wieder, was man bloß jemals an dieser Person gefunden hat.«
Aha! Dann ist dir das wohl auch schon einmal widerfahren, überlegte Lu im Stillen. Hat man dich einmal spontan abserviert! Gleich darauf aber schämte sie sich für ihren missgünstigen Gedanken und entgegnete: »In jedem Fall hast du einen wirklich exquisiten Kunstgeschmack. Und überhaupt sollten diese beiden Bilder hier am besten nebeneinander aufgehängt werden.«
Als sie sich schließlich in ihr Schlafzimmer zurückzogen, war Lu noch viel zu unruhig, um gleich zu Bett zu gehen. Rasch zog sie sich ihr Kleid aus und schlüpfte in ihr schwarzes Seidennachthemd. »Aus irgendeinem Grund ist mir heute Abend danach zu tanzen. Wenn ich auf einer Bühne stehe, habe ich immer das Gefühl, als ob meine Seele plötzlich Flügel bekäme und ich so mancherlei Dinge mit einem Mal aus einem ganz neuen Blickwinkel sähe. Aber du hast wohl keine Lust, mich auf einem Instrument zu begleiten?«
»Oh, doch. Und ob ich das habe. Ich könnte zum Beispiel auf dem Piano für dich spielen. Vielleicht möchtest du ja sogar deinen spanischen Schal-Tanz für mich aufführen? Damit würdest du mir nämlich eine ganz besondere Freude machen.«
»Den Marquis verlangt es nach einer Privatvorstellung? Aber gerne doch! Euer Wunsch ist mir Befehl, Euer Lordschaft.« Lachend öffnete Lu ihren Kleiderschrank, zog den karmesinroten Fransenschal hervor und warf ihn sich mit schwungvoller Geste um die nackten Schultern. Anschließend gingen sie gemeinsam in den großzügig geschnittenen Ballsaal von Barons Court hinab, an dessen Ende Lus junger Ehemann ihr eine Bühne hatte errichten lassen.
Kaum dass er am Klavier Platz genommen hatte, stimmte James auch schon eine geradezu schmerzhaft schöne Melodie an. Lu war dieses Lied zwar vollkommen fremd, und
Weitere Kostenlose Bücher