Symphonie des Lebens
Toten.
»Ja, Chérie … das weißt du doch …«
»Wir wollen zusammenbleiben, für immer …«
»Wenn du geschieden bist … das weißt du doch …«
»Ich brauche nicht mehr geschieden zu werden … Ich bin tot.«
»Chérie!« Leclerc zuckte hoch und sprang mit einem Satz aus dem Wagen. »Das kannst du nicht tun …«, schrie er fast.
»Das Schicksal ist uns entgegengekommen, begreifst du das denn nicht?« Carola stieg aus dem Wagen und ließ die Tür offen. Der Kopf der Toten war vom Rücksitz gesunken, die langen blonden Haare schleiften auf dem Wagenboden. »Sieh dir die Unbekannte an … jeder wird sie als Frau Carola Donani identifizieren, wenn sie in meinem Wagen, mit meinen Papieren, mit meinem Schmuck an den Fingern gefunden wird … verbrannt im Auto … ein Unglücksfall wie hundert andere. Für uns aber ist die Zukunft offen –«
»Das … das geht nicht, Chérie –« Leclerc wischte sich wieder über die Stirn. »Es wird entdeckt werden.«
»Nie!«
»Und wovon wollen wir leben?«
Das war die wichtigste Frage Leclercs. Eine Zukunft an der Seite Carola Donanis war etwas Herrliches, solange sie die Frau des großen Donani war. Eine ungewisse Zukunft neben einer zwar schönen und leidenschaftlichen, aber mittellosen Frau war nicht das Ideal des Lebens, wie es sich Leclerc vorstellte.
»Ich werde mein Bankkonto morgen abheben.«
»Als Tote?«
»Man wird auf diese Kleinigkeit nicht achten. Vor morgen früh wird man die brennende Leiche nicht identifiziert haben. Morgen früh aber sind wir auf dem Flug nach München.«
Leclerc schwieg. Er starrte das unbekannte, tote Mädchen an. Daß sie getötet worden war, war ohne Zweifel. Der Mörder hatte sie in eine Zeltplane gerollt und in den Straßengraben geworfen. Wer die Tote war, wo sie ermordet wurde, wer ihr Mörder war, das würde alles unbekannt bleiben. Als die tödlich verunglückte Carola Donani würde sie begraben werden … und übrig blieb eine junge Frau ohne Namen, die mit ihm, dem Geiger Jean Leclerc, ein neues Leben begann, nachdem sie ihr altes Leben in Flammen hatte aufgehen lassen.
»Der Plan ist Wahnsinn …«, sagte er heiser.
»Aber er rettet uns und unsere Liebe. Oder hast du Angst?«
»Ein wenig …«
»Liebst du mich nicht so, wie ich dich liebe?«
»Chérie, wie kannst du so etwas sagen …« Er lächelte verzerrt. Sein Jungengesicht war hilflos, seine Männlichkeit schien in der nächtlichen Nässe aufgeweicht. Mit fahrigen Händen strich er seine Locken zurecht und hob die Schultern, als friere er. Carola ging zum Wagen zurück.
»Wir müssen sie auswickeln und zu Carola Donani machen«, sagte sie.
Leclerc schluckte. Übelkeit drang wieder in ihm hoch, als er die Leiche aus der Zeltplane rollte, den schmalen Körper festhalten mußte und der eiskalte Kopf an seiner Schulter lag. Er wandte das Gesicht weg, um nicht in die starren, blauen Augen sehen zu müssen … es genügte ihm, daß er die eisige Kälte des Leibes spürte und die Glätte der bloßen Arme, die gegen seinen Handrücken schabte.
Carola schien von alledem nicht berührt zu werden. Sie setzte die Leiche auf den Fahrersitz, zog ihr den Aquamarinring vom Finger und steckte ihr den wertvollen Brillantschmuck an. Nur als sie das goldene Collier um den Hals der Toten legte, lief ein Schauer durch ihren Körper. Mit spitzen Fingern schob sie das Schloß der Goldkette ineinander und rückte den Anhänger zurecht.
Sonst ließ sie alles, wie es war … die Papiere im Handschuhkasten, ihren Mantel auf dem Rücksitz, in den Seitentaschen der Türen die kleinen Dinge, die Frauen im Wagen mit sich führen, im Kofferraum den Schminkkoffer und die Toilettentasche. Nur ihren Paß nahm sie mit. Das war unverfänglich, denn neben dem Paß für die Auslandsreisen besaß sie noch ihre amtliche Kennkarte. Diese blieb in der Handtasche zurück.
»Und nun?« fragte Leclerc zwischen den Zähnen.
»Nun fahren wir gegen einen dicken Baum.«
Stumm stiegen sie ein, Leclerc hinten auf dem Notsitz, Carola neben der Toten, nach vorn gebeugt und langsam den Wagen aus der Schneise lenkend. Auf der Straße stieg Leclerc aus.
»Überleg es dir, Chérie …«, sagte er in letzter schwacher Gegenwehr. »Vielleicht gibt es noch eine andere Möglichkeit, glücklich zu werden –«
»Soll ich Donani töten?« Carola umklammerte das Lenkrad. »Hier schenkt uns das Schicksal eine Tote, die ich sein kann … weißt du eine andere, glattere Lösung unserer Probleme?«
Ihre
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