Symphonie des Lebens
Entschlossenheit, ihre Kälte, ihr Wille war in diesen Minuten so stark, daß Leclerc resignierte. Er schüttelte den Kopf und trat von der Straße zurück an den Waldrand. Er hatte Angst … nicht Angst vor dem, was Carola jetzt tun würde, sondern Angst vor der Zukunft, die ihm jetzt aufgezwungen wurde. Er hatte sich alles ganz anders gedacht, ganz anders … Er wollte im Glanz des großen Donani aufsteigen … jetzt mußte er sich durch die Nacht der Anonymität durchkämpfen zum Licht. Ein Umweg, den er sich durch Carola ersparen wollte.
»Sei vorsichtig –«, sagte er noch. Dann heulte der Motor auf, der Sportwagen schoß vorwärts … erst gerade über die Straße, dann – als Carola mit einem Satz absprang – führerlos in Schlangenlinien, bis er gegen einen Baum prallte. Es gab ein schepperndes, klirrendes Krachen, ein Rauschen des sterbenden Motors, ein flirrendes Nachzittern des zerbeulten und aufgerissenen Blechs.
Jean Leclerc begann zu laufen. Er sah Carola am Straßenrand hocken, gebückt, ihre Beine umklammernd.
»Chérie!« schrie er. »Chérie … ist dir was passiert?«
Er fiel neben ihr auf die Knie, schob die Hand unter ihr Kinn und hob ihren Kopf. Sie hatte Tränen in den Augen, aber sie kämpfte tapfer dagegen, laut zu weinen.
»Der linke Fuß ist verstaucht …«, sagte sie. Und plötzlich klang ihre Stimme wie die eines hilflosen, kleinen Mädchens. Alle Kraft, alle Entschlossenheit waren von ihr genommen. Sie umklammerte die Hände Leclercs und sah mit flatternden Augen zu dem sich an dem Baum hochschiebenden Autowrack.
»Du … du mußt es anstecken …«, sagte sie stockend. »Hinten im Kofferraum ist der Benzinkanister … Ein paar Tropfen genügen … dann schließ ihn wieder ein … Aber es muß brennen … es muß richtig brennen …«
Leclerc zögerte. Sein Jungengesicht zuckte. Dann rannte er los, suchte in dem Gewirr von Blech und Eisen den Kanister, schüttete das Benzin über die Sitze und – nach einer Sekunde des Schauderns – auch über den toten, über das zerfetzte Armaturenbrett geschleuderten Mädchenkörper, suchte in seinen Taschen nach Zündhölzern, fand keine und entzündete vorsichtig mit der flackernden, kleinen Flamme seines Feuerzeuges einen Tropfen Benzin auf dem Hintersitz. Eine bläuliche Flamme zuckte auf, verbreiterte sich, lief über die Sitze, das Blech, die Trümmer und Scherben, ergriff die Leiche und hüllte in Sekundenschnelle den Wagen in eine Feuerwand.
Leclerc rannte zurück, getrieben von der Hitzewelle und flüchtend vor dem Anblick des brennenden Körpers. Auf der Straße kam ihm Carola entgegen, humpelnd, mit verzerrtem Gesicht. Sie streckte beide Arme aus, als Leclerc vor ihr stand, und warf sich an seine Brust.
»Ich verbrenne –«, stammelte sie. »Ich verbrenne –«
Sie drückte das Gesicht gegen seine Jacke und krallte die Finger in seinen Rücken. Es war, als ertränke sie oder sie brenne wirklich und winde sich in unerträglichen Schmerzen.
»Du darfst mich nie verlassen!« schrie sie durch das Prasseln der Flammen. »Hörst du … jetzt darfst du mich nie, nie verlassen … Ich habe ja alles nur deinetwegen getan … weil ich dich liebe … liebe … liebe …«
Jean Leclerc schwieg. Ihm war es unheimlich. Er stützte Carola und führte sie von der Straße weg in den Wald. Sie hatten auf der Karte nachgesehen … zwei Kilometer westlich erreichten sie den Stadtrand von Berlin … Häuser, Menschen, eine Straßenbahn, den Weg in die Freiheit ihrer Liebe …
»Komm –«, sagte er leise und trug sie fast durch den Wald. Hinter ihnen prasselten die Flammen und knallten kleine Explosionen auf. »Sieh nicht zurück …«
»Ja –« Sie nickte und blickte ihn groß und voller innerer Erlösung an. »Wir wollen nie mehr zurücksehen –«
*
Ein Kellner bat Bernd Donani hinaus in die Halle. Ein Herr wünschte ihn dringend zu sprechen.
Man saß in einem kleinen Saal des Hotels und ließ den Abend ausklingen. Nach dem Essen beim Regierenden Bürgermeister hatte der Kultursenator einen kleinen Kreis zu einer nächtlichen Runde geladen. Es wurde gefachsimpelt, kritisiert, politisiert, geraucht und getrunken – es war eben ein richtiger gemütlicher Männerabend. Um so erstaunter war Pietro Bombalo, als der Kellner in die Runde platzte und Donani hinausbat.
»Was heißt ein Herr?« fragte Bombalo in seiner polternden Art. »Alle, die Maestro Donani zu sehen wünschten, sind hier. Da kann ja jeder kommen.«
»Es ist dringend«,
Weitere Kostenlose Bücher