syrenka
Stadt erwachen. Sie schob den Flachmann in ihre Tasche.
Am Fuß der Steintreppe zog sie sich die Strümpfe über ihre nassen, sandigen Füße und quetschte sich, ohne die Bänder aufzuziehen, in ihre Turnschuhe. Im schwachen Licht der alten Laternen, die von oben herableuchteten, konnte sie erkennen, dass die Narben an ihren Beinen kaum noch sichtbar und so gut wie verheilt waren. Immer zwei Stufen auf einmal nehmend, eilte sie die Treppe hinauf, lief zum Gebüsch und holte ihren Rucksack heraus. Das abgeschlossene Fahrrad ließ sie stehen, da sie wusste, dass sie nach Erfüllung ihrer Aufgabe zurückkommen und zu Ezra gehen würde. Sie holte tief Luft, um Mut zu sammeln, und lief im Dauerlauf zum Kirchhof hinauf.
Noch bevor sie nach Linnie Ausschau halten konnte, sah siePastor McKee in der Hintertür stehen und sie erwarten. Sein Körper zeichnete sich als dunkle Silhouette vor dem hinter ihm leuchtenden Licht ab.
Er winkte sie zu sich, dann verschwand er im Inneren der Kirche und ging die Treppe hinab voraus.
Warum wartet er nicht auf mich? , überlegte Hester. Sie schaltete das Licht der Krypta ein und folgte ihm.
Auf der Hälfte der Treppe hörte sie von unten sein nervöses Lachen. »Du hast meinen Flachmann gefunden, nicht wahr? Du bist ein kluges Mädchen!«
»Ja, aber woher haben Sie gewusst, dass ...?« Hester zog die Flasche aus ihrer Tasche.
Er war bereits am Fuß der Treppe angelangt. Jetzt wandte er sich zu ihr um und wich mit jedem Schritt, den Hester näher kam, ein Stück zurück, bis er an der gegenüberliegenden Mauer stand. Er schien Angst vor ihr zu haben. Hester stellte ihren Rucksack auf den Boden, sehr vorsichtig, um weder die darin befindliche Puppe noch das Journal zu beschädigen.
»Ich bin bereit. Meine Zeit ist gekommen. Und Gott der Herr weiß, dass ich lange genug darauf gewartet habe.« Er lachte wieder. »Wo hast du den Flachmann gefunden?«
»Sie werden mir niemals glauben, was ich heute Nacht erlebt habe, Pastor. Ich glaube es fast selbst nicht. Ich war im Meer, in den tiefsten Tiefen. Stundenlang – und vorgekommen ist es mir wie eine Ewigkeit. Ihr Flachmann steckte in einem Berg, in dem Noo´kas – Squauanit – gefundene Gegenstände aufhebt. Sie hat eine Schwäche für alles, was blinkt. Ich habe den Flachmann gegen meine silberne Haarspange eingetauscht.« Sie hielt die Flasche in die Höhe und ging auf ihn zu.
»Warte«, sagte McKee heftig atmend. Er hob die Hand. »Warte nur einen kurzen Moment, Liebes. Gib ihn mir nicht gleich.«
Hester blieb stehen. Sie sah, dass seine Hand zitterte. Sie betrachtete den Flachmann, seinen persönlichen Schatz aus seiner Vergangenheit, das Geschenk seiner Mutter. Dem Gewicht nach zu urteilen, war er noch immer bis oben hin voll mit seinem geliebten McKee-Scotch. Es musste wirklich ein sehr bedeutsames Erinnerungsstück für ihn sein, wenn es ihn sogar auf die Entfernung so berührte.
»Sie haben dafür gesorgt, dass ich ihn finde. Ich bin mir ganz sicher. Sie haben mich zu ihm dirigiert«, sagte Hester.
»Ja«, gab McKee zu und lachte wieder nervös.
»Sie sind der Pastor, der in der Krypta umgekommen ist.«
»Ja.«
»Sie sind ...«
»Ein gefesselter Geist. Es tut mir leid, dass ich es dir nicht früher sagen konnte, Mädchen. Wirklich, es tut mir leid. Man könnte fast denken, ich hätte dies alles von langer Hand geplant. Genügend Zeit, um darüber nachzudenken, hatte ich ja, fast hundertvierzig Jahre. Wie lange habe ich gehofft, dass jemand käme, der mich sehen und hören könnte. Und dann warst du da, und ich habe versucht, dich hierher zu lotsen.«
Hester machte ein paar Schritte zurück und setzte sich an das Ende der Treppe, um McKee mit dem Flachmann nicht zu nahe zu kommen.
»Woher wussten Sie, dass ich kommen würde?«
»Ich wusste schon seit zehn Jahren, dass es dich gibt – weil Adeline mit dir sprechen konnte. Durch den Spuk neulich habe ich versucht, deine Aufmerksamkeit zu wecken. Du solltest merken, dass das Fantastische existiert und dass du etwas Besonderes bist. Ich habe so gehofft, dass du darauf anspringst! Dass du neugierig sein und mit mir ins Gespräch kommen würdest.«
»Aber die Sache mit den Silberfischchen war widerlich«, entgegnete Hester. »Was haben Sie sich dabei gedacht, ein Kind so zu erschrecken?«
»Tja, die Silberfischchen waren ganz einfach ein Missgeschick. Ich kann die Kirche nicht verlassen, darum habe ich, um mit dir sprechen zu können, Adeline beauftragt, dich ins Innere
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