syrenka
Atem an, schluckte und versuchte sich zu beruhigen. Dann nahm sie das Buch, legte es in die linke Hand und blätterte es Seite um Seite mit der rechten Hand um. Es quoll geradezu über von Aufzeichnungen und Skizzen. Es gab keine einzige leere Seite. Jedenfalls so lange nicht, bis Hester es berührte – als seien manche Teile nur für ihre Augen bestimmt. Sofern sie nicht halluzinierte – was eine plausiblere Erklärung sein mochte als »dieses Buch ist verhext«.
Sie versuchte, ihre Fassung wiederzugewinnen.
Mit diesem Journal hatte es etwas Besonderes auf sich. Offenbar war es allein für sie bestimmt.
Noch während Hester die Entscheidung traf, dieses Buch zu stehlen, konnte sie es kaum glauben. Sie warf einen kurzen Blick auf ihre Uhr. Ihre Pause ging allmählich zu Ende. Und Ms. Lopeswürde auch bald wiederkommen. Ein unwiderstehlicher Drang baute sich in ihr auf und zerstörte das letzte bisschen schlechtes Gewissen.
Sie beugte sich hinunter und durchwühlte ihre Tasche. Da sie das, was sie brauchte, nicht fand, ließ sie ihren Blick durch den Raum wandern. Plötzlich schoss sie von ihrem Stuhl und lief zu den offenen Regalen hinter Ms. Lopes´ Schreibtisch, wo die Bibliothekarin ein paar private Bücher stehen hatte. Sie versuchte, die Panik zu unterdrücken, die sich in ihrer Brust breitmachte. Die Tür des Raums mit den seltenen Manuskripten bestand zum größten Teil aus Glas. Wenn jemand vorbeikam, würde man sie sehen ...
Hesters Hand strich die Buchrücken entlang, bis sie ein Buch gefunden hatte, das ungefähr dieselbe Größe und Form und das Gewicht des Journals hatte: eine gebundene Ausgabe des Titels The Elements of Style – einer berühmten amerikanischen Stilkunde der Autoren Strunk und White. Sie nahm es aus dem Regal und stellte die übrigen Bücher wieder gerade hin, sodass keine verräterische Lücke entstand. Dann lief sie zu ihrem Platz zurück, verstaute das Doyle-Journal sorgfältig in ihrer Tasche und legte The Elements of Style in die Archiv-Faltbox. Jetzt erschien Ms. Lopes hinter der Glastür. Sie schwatzte mit einer Kollegin. Mit zitternder Hand band Hester das weiße Band um die Schachtel und versuchte, den Originalknoten so gut es ging nachzumachen, damit die Bibliothekarin keinen Grund hatte, ihn zu öffnen und neu zu binden.
Als Ms. Lopes nun die Tür öffnete, holte Hester tief Luft. Sie bückte sich, nahm ihre Tasche hoch, legte sie auf ihren Schoß und drückte die Verschlüsse zu.
»Schon fertig?«, fragte Ms. Lopes.
»Ja, vielen Dank auch. Es war nicht ganz das, was ich gesucht habe. Ich brauche etwas über die Entstehung dieser Legenden.« Sie nahm die Archiv-Schachtel und hoffte, dass Ms. Lopes keinerlei Zweifel kämen, solange Hester so tat, als befinde sich das Buch darin. »Das hier sind eher die Aufzeichnungen eines Fantasten, würde ich sagen.«
Ms. Lopes nahm die Schachtel entgegen. »Da stimme ich dir zu. Von historischem Wert sind sie eigentlich nicht. Abgesehen davon, dass sie eben alt sind.« Sie zog das Band ein wenig gerade.
Hester hing sich die Tasche über die Schulter. »Ich muss mich beeilen. Vielen Dank für Ihre Hilfe!«
»Gern geschehen ...« Ms. Lopes zögerte. »Wie war doch gleich dein Name? Esther, nicht wahr?«
»Ja, ganz richtig«, log Hester. »Esther ...« – sie bediente sich des erstbesten Namens, der ihr in den Sinn kam – »... Angeln.« Sie biss sich auf die Zunge. Warum hatte sie nicht einfach Brown oder Davis oder irgendeinen anderen Allerweltsnamen genannt?
Sie rang sich ein fröhliches Lächeln ab. »Also vielen Dank noch mal!« Sie öffnete die Tür, drückte ihre Tasche mitsamt ihrem kostbaren Inhalt an ihre Seite und lief viel zu schnell davon, traute sich aber nicht, ihren Schritt zu verlangsamen oder sich umzudrehen, um zu sehen, ob ihr jemand folgte.
Bevor er selbst überhaupt davon sprach, einen Exorzismus zu vollziehen, bestand der alte Pastor auf einem sicheren Beweis. Dazu hatte Eleanor Ontstaan bereits einen Plan ersonnen.
»Sarah und Ezra sind immer zusammen«, stellte sie fest. »Wir müssen Ezra aber aus dem Geschehen heraushalten, sonst wird er uns stören.«
»Sonntags ist er doch immer allein in der Kirche ...«, bemerkte McKee in seinem schottischen Tonfall.
»Bis dahin ist es noch eine ganze Woche, Pastor! Ich habe einen Vorschlag für eine schnellere Lösung: Ihr müsst Euch ein Problem ausdenken, bei dem Ihr Ezras Rat benötigt. Er ist sehr gebildet – das sollte leicht sein. Und dann trefft Ihr
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