syrenka
Merlino, entschuldigen Sie das Wortspiel, aber es sieht nach einer wahrhaft monumentalen Anstrengung aus, diese Grabsteine, von denen jeder einzelne Hunderte von Kilos wiegt, nicht nur aus dem Erdreich zu stemmen, sondern sie auch noch umzudrehen und auf den Kopf zu stellen. Haben Sie eine Vorstellung, wie dies ohne schweres Gerät zu bewerkstelligen ist?«
»Nein, Sir, und genau deswegen, eben weil es so schwer ist, gehen wir davon aus, dass es mehrere Täter gewesen sein müssen. Vielleicht eine Gruppe betrunkene Jugendliche.«
»Aber wenn Sie die Bemerkung eines Amateur-Detektivs erlauben wollen – soweit ich sehe, gibt es weder Fußspuren auf dem Boden noch Hinweise darauf, dass Schaufeln benutzt wurden. Und es liegen auch keine verräterischen Bierflaschen oder Zigarettenstummel herum.« Er lachte kurz. »Und wenn man berücksichtigt, dass die First Church of Pilgrims für ihre Spuklegenden berüchtigt ist, müsste ihre Abteilung da nicht auch die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass es sich hierbei um ...«
»Hören Sie, hier findet keine Geisterbeschwörung statt, sondern eine polizeiliche Untersuchung«, fiel Leutnant Merlino dem Reporter ins Wort. »Und die Sache ist auch überhaupt nichtlustig. Burial Hill ist eine historische Gedenkstätte von nationaler Bedeutung!« Er blickte direkt in die Kamera. »Sofern Sie als Zuschauer letzte Nacht randalierende Jugendbanden beobachtet haben, können Sie Ihre Hinweise an unsere Dienststellen geben. Vielen Dank!« Damit ging er aus dem Bild.
Der Reporter fing sich schnell wieder. »Was hier tatsächlich geschehen ist, bleibt uns wohl jedenfalls ein Rätsel – ein Rätsel, das nicht leicht aufzuklären sein wird, falls es sich doch um übernatürliche Ereignisse handeln sollte und nicht nur um das Werk von pubertierenden Jugendlichen. Live vom Burial Hill in Plymouth informierte Sie ...«
»Dad, meinst du, ich kann mit Nancys Auto zur Arbeit fahren?« Hester versuchte, ganz normal zu klingen.
»Du kannst meins nehmen. Ich arbeite heute zu Hause.«
»Super, danke!« Sie küsste ihn auf die Wange und stellte ihre Kaffeetasse ins Spülbecken.
»Ist es nicht ein bisschen früh für die Plimoth Plantation?«
»Heute wird Brot gebacken. Ich habe unserer Ökotrophologin versprochen, ihr beim Anfeuern des Gemeindeofens zu helfen.« Verdammt – es war schon beängstigend, wie gut sie allmählich lügen konnte!
»Du hast aber noch nichts zum Frühstück gegessen!«, bemerkte er.
»Nach dem Duschen!« Damit verdrückte Hester sich schnell aus der Küche und lief die Treppe hinauf.
Hester parkte an der School Street, hinter drei Streifenwagen. Sie warf sich ihre Tasche über die Schulter und eilte die Stufen neben der First Church of Pilgrims empor. Auf dem zweitenTreppenabsatz stand Leutnant Merlino. Er beugte sich mit einem weiteren Polizisten über einen Spiralblock.
»Sie können hier jetzt nicht durch«, fuhr Leutnant Merlino Hester an.
»Ich will nur sehen, ob ...«
»Nein.« Er stellte sich ihr in den Weg.
»Können Sie mir denn wenigstens sagen, welche Grabsteine auf den Kopf gestellt wurden? Hier liegen Angehörige von mir begraben.«
Der Leutnant nickte dem Wachtmeister zu, woraufhin dieser in seinem Block ein paar Seiten zurückblätterte.
»Augenblick ... Eleanor Ont...ont...tans«, las er vor. Hesters Herz schlug wie wild. Sie biss sich auf die Lippe, um sich nichts anmerken zu lassen.
»Der zweite lautet auf Bartholomew Crotty, seine Ehefrau Marijn und seine Ehefrau Lucy – die haben alle zusammen einen Stein.«
Hester nickte ungeduldig.
»Der dritte gehört zu Adeline P. Angeln – armes Ding, war noch ein Kind. Und der letzte liegt da drüben.« Er deutete mit seinem Stift ein Stück weiter die Treppe hinauf und zu einer Stelle hinüber, wo rot-weißes Flatterband um ein Grab gespannt war. »E. A. Doyle.«
E. A. Doyle ? Hester wurde ein wenig schwindelig. Zu wenig Schlaf? Zu wenig gefrühstückt? Sie machte einen Schritt zurück. Angeln , dachte sie und ihre Gedanken rasten.
»Sagten Sie Adeline Angeln?« Hester griff nach dem Geländer, um sich festzuhalten. Peter hatte den Namen Adeline mal erwähnt. Eine Vorfahrin hatte so geheißen. Ihre Puppe war jetzt inder Ausstellung der Pilgrim Hall zu sehen. Der Zusammenhang, den Hester bisher übersehen hatte, stand ihr nun glasklar vor Augen und raubte ihr den Atem: Adeline Angeln war das getötete Mädchen aus der Zeitung, der Old Colony . Adeline Angeln war Peters Urur-noch-was-Tante.
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