syrenka
Adeline Angeln war Linnie!
»Ja, ganz richtig. Adeline P. Angeln. Und? Sind Vorfahren aus Ihrer Familie dabei?«, erkundigte sich Leutnant Merlino.
»Wie bitte? Oh ... nein. Vielen Dank ... entschuldigen Sie bitte ... entschuldigen Sie die Störung.« Sie drehte sich um und stieg die Treppe hinab. Ihre Knie zitterten.
Ihr Blick fiel auf die Hintertür der Kirche. Sie stand ein wenig offen, als wollte sie Hester einladen.
Hester sah kurz zurück zu den Polizisten. Sie hatten ihr den Rücken zugewandt. Hester schwenkte auf den ersten Treppenabsatz neben der Kirche und schlüpfte hinein. Die Lichter der Krypta brannten. Pastor McKee erwartete sie bereits am unteren Ende der Treppe.
»Hast du die Gräber gesehen?«, fragte er kichernd. »Ich hoffe jedenfalls, dass du sie gesehen hast. Das war doch mal was!«
Sobald sie ihren ersten Atemzug tat, erwachte Sarahs Körper zum Leben. Sie schluckte. In ihrem Bauch spürte sie ein unbestimmbares, ekelerregendes Völlegefühl.
Sie lag rücklings im Wasser. Ihre Augen waren geöffnet, und sie sah, wie sich Needa und Weeku über sie beugten. In ihren vom Mond beschienenen Gesichtern spiegelten sich Sorge, Erleichterung und Freude. Sarah spürte Sand unter ihrem Körper. Sie befanden sich im Flachen. Ihre Gefährtinnen hielten Sarahs Kopf über Wasser. Wie war sie hierher gekommen, an den Strand? Sie erinnerte sich nur noch daran, dass sie in der Krypta ohnmächtig geworden war – der Sarkophag, das Messer ...
Sie befühlte ihren Hals. Der Pastor hatte ihn aufgeschlitzt, und Sarah hatte gewusst, dass dieser Hieb tödlich sein würde. Aber nun war die Wunde geschlossen. Das Letzte, was sie gesehen hatte, bevor sie zusammenbrach, war ...
»Ezra«, brachte sie hervor. Ihre Stimme klang belegt. Unruhe überkam sie. »Wo ist Ezra?«, fragte sie lauter. Die Gesichter ihrer Gefährtinnen wichen nervös zurück und ihre Hände ließen Sarah sanft los.
Mithilfe ihrer Arme richtete Sarah sich so weit auf, dass sie saß. Sie sah sich um. Dann stieß sie einen Schrei aus.
Ezra lag tot neben ihr im Wasser. Seine Brust war aufgerissen, sodass die blutrote Unterseite seiner Haut zu sehen war und zersplitterte Rippen und Unmengen von Gewebe aus der Wunde herausragten.
Es war ein so unvorstellbar abwegiger Anblick! Diese Bestandteile seines Körpers gehörten in sein Inneres, auf alle Zeiten, und nicht nach außen! Instinktiv und ohne jeglichen Sinn ging Sarah auf die Knie und versuchte, Ezras Wunde mit den Händen zu schließen. Noch währenddessen aber merkte sie, dass es aussichtslos war. Die Augen und sein Mund standen offen, seine Miene war ausdruckslos. Sein makelloses Gesicht zeigte keine Spur mehr von den Gefühlen und Gedanken des eigentlichen Ezra.
Sarah zog ihre Hände weg. In diesem Moment bemerkte sie sein fehlendes Herz.
Sie fasste sich an den Bauch, drückte darauf und sackte vor Gram vornüber, als sie den Klumpen in ihrem Magen spürte. Vor Ekel musste sie würgen, aber nichts kam hoch. Sie wusste, dass es zu spät war.
»Wie konntet ihr!«, fuhr sie ihre Schwestern an. »Wie konntet ihr nur!«
»Er hat es für dich getan, Syrenka«, antwortete Needa demütig. »Er starb bereits ...«
Sarahs Arm schnellte vor und riss Needa an den Haaren. »Du Dummkopf, ihn hättet ihr retten sollen!«
»Von dir gab es nichts zu verwerten«, schrie Needa. »Du warst schon tot. Und er wäre so oder so gestorben.«
»Ihr hättet ihn retten sollen!« Sarah stieß ihre Schwester beiseite und kümmerte sich wieder um Ezras Leichnam. Sie schloss ihm die Augen und den Mund und legte ihre Arme um ihn. Sein Körper war noch warm, und für einen flüchtigen Moment konnte sie sich vorstellen, dass er noch lebte. Zaghaft legte Needa eine Hand auf ihre Schulter und streichelte sie.
In diesem Moment der Stille vernahm Sarah in der Ferne ein Weinen. Abrupt sah sie auf und lauschte dem Weinen nach. Es kam vom oberen Ende der Leyden Street, wo die Kirche lag. Es war das herzzerreißende Wimmern eines Kindes, das man zu lange allein gelassen hatte.
»Ein Baby«, sagte Sarah. Sie erinnerte sich, dass sie Ontstaans Frau verschiedentlich mit einem Baby auf dem Arm in der Stadt gesehen hatte. Jawohl, diese schreckliche Frau hatte ein Kind!
Sarah wusste, was sie zu tun hatte, und ihr blieb dazu nicht viel Zeit.
»Nein, Syrenka«, sagte Weeku. Sie ahnte, was Syrenka vorhatte.
»Nicht!«, rief auch Needa. »Lass ihn gehen«, flehte sie. »Lass ihn in Frieden!«
Sarah küsste Ezra auf die Lippen,
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