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System Neustart

System Neustart

Titel: System Neustart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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alte Knabe hat alles abgesegnet. Er ruft den Anwalt wegen der Bank an. Und Charlie.« Er wandte sich zu Ajay um. »Sie kennen diesen Milgrim also?«
    »Nein«, sagte Ajay.
    »Sind Milgrim und Ajay etwa gleich groß?«
    Heidi zog die Augenbrauen hoch und dachte nach. »So ungefähr.« »Körperbau?«
    »Milgrim ist eine gottverdammte Bohnenstange!«
    »Bigend hat ihn auf fünfundsechzig Kilo geschätzt. Aber so kräftig ist Ajay gar nicht«, sagte Garreth, während er ihn musterte. »Drahtig. Durchtrainiert. Keine überflüssigen Muskeln. Ein drahtiger Kerl kann eine Bohnenstange spielen. Haben Sie irgendwelche Schauspielerfahrungen, Ajay?«
    »Aus der Schule«, sagte Ajay erfreut. »Islington Youth Theatre.«
    »Ich hab Milgrim auch noch nicht kennengelernt. Das werden wir beide nachholen müssen. Und jetzt zeigen Sie mal, was Sie können!«
    Ajay drückte das Kreuz durch, die Daumen auf einer Linie mit der Naht seiner Jogginghose; sein Gesicht nahm einen herablassenden Ausdruck an, und er schlenderte an Heidi vorbei, wobei er sie mit einem raschen, missbilligenden Blick taxierte.
    »Gut«, sagte Garreth und nickte.
    »Milgrim«, sagte Heidi zu Garreth, »ist ein typisches Bleichgesicht. Einen weißeren Typen findest du so schnell nicht.«
    »Ah«, sagte Garreth, »aber das ist ja genau die Kunst dabei, nicht wahr?«

60. Rochen
    Milgrim lag, in Strümpfen und Hemdsärmeln, auf dem weißen Schaumstoff, glücklich versunken in eine wunderbar lebensechte Erfahrung. Uber ihm, direkt unterhalb der hohen Decke des Raumes und von der großen italienischen Stehlampe mit dem silberfarbenen Schirm angestrahlt, schlug der mattschwarze Mantarochen in Zeitlupe Purzelbäume, fast lautlos, das einzige Geräusch das leise Knistern der mit Helium gefüllten Folienmembran. Milgrim schaute nicht hoch. Stattdessen konzentrierte er sich ganz auf das Display des iPhone und betrachtete die Bilder, die die Kamera des Rochens lieferte. Er sah sich selbst, immer wieder, auf dem weißen Rechteck ausgestreckt. Und Fiona, die am Tisch saß und irgendetwas zusammensetzte, das Benny in Pappkartons hereingebracht hatte. Dann, während der Rochen sich überschlug, die hell erleuchtete Decke. Und alles wieder von vorn. Das hatte etwas Hypnotisches, umso mehr, weil er selbst den Salto herbeiführte, und zwar jedes Mal mit der gleichen Abfolge von Daumenbewegungen auf dem Display des Handys.
    Er schwamm in der Luft, der Rochen. Einem Geschöpf nachgebildet, das im Wasser schwamm, bewegte es sich mit langsamer, gespenstischer Anmut durch die Luft.
    »Unter freiem Himmel muss das großartig sein«, sagte er.
    »Macht noch mehr Spaß«, sagte sie, »aber das dürfen wir nicht. Wenn irgendjemand herausfindet, dass wir die haben, sind sie nutzlos. Und sie kosten ein Vermögen, auch vor der Umrüstung schon. Als wir ursprünglich nach Drohnen gesucht haben, habe ich vorgeschlagen, es mit so etwas zu probieren.« Womit sie das rechteckige Ding meinte, das sie auf dem Tisch zusammensetzte. »Die sind schneller und wendiger. Aber er sagte, wir sollten die Geschichte des Fliegens rekapitulieren und mit Ballons anfangen.«
    »Aber es gab doch keine Ballons mit Flügeln, oder?«, fragte Milgrim, wobei er sich weiter auf seine Daumenbewegungen konzentrierte.
    »Nein, aber die Leute haben sie sich ausgemalt. Und dieses Ding hier kann nur für eine Weile da oben bleiben. Wegen der Batterien.«
    »Es sieht gar nicht wie ein Hubschrauber aus. Eher wie ein Couchtisch für Puppen.«
    »Acht Propeller — die sorgen für ordentlich Auftrieb. Und sie sind abgeschirmt. Wenn es gegen etwas stößt, ist es nicht sofort hinüber. Lassen Sie den Rochen mal eine Pause einlegen und schauen Sie sich das an.«
    »Wie mache ich das?«, fragte Milgrim, plötzlich verunsichert.
    »Einfach aufhören. Die App übernimmt dann die Kontrolle.«
    Milgrim hielt die Luft an und nahm die Daumen vom Display. Schaute nach oben. Der Rochen führte seinen Salto zu Ende, flatterte kurz mit den Flügelspitzen und schwebte dann in der Luft, den Rücken der Decke zugewandt.
    Milgrim stand auf und ging zum Tisch hinüber. Nichts war jemals so angenehm gewesen wie dieser Nachmittag mit Fiona in Bigends Vegaswürfel. Es gab nichts weiter zu tun, als mit Bigends teurem deutschen Spielzeug zu spielen, und das Erlernen seiner Funktionen bildete einen idealen Gesprächsstoff. Streng genommen arbeitete Fiona, denn sie musste aus den Teilen in den beiden Kartons die neue Drohne zusammensetzen, aber es schien

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