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System Neustart

System Neustart

Titel: System Neustart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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verbrochen?« »Ich kann nicht Gedanken lesen«, sagte sie. »Wie bitte?«
    »Na ja«, sagte sie. »Sie haben seit etwa zehn Jahren keine Steuererklärung mehr abgegeben. Aber vielleicht haben Sie ja nicht genug verdient und brauchen es deshalb nicht.«
    »Ich glaube nicht«, sagte Milgrim.
    »Aber jetzt haben Sie eine Anstellung, oder?«
    »Auf Honorarbasis«, sagte Milgrim entschuldigend. »Plus Spesen.«
    »Das sind aber ganz ordentliche Spesen«, sagte sie und ließ den Blick durch die Bar schweifen. »Bei dieser Werbeagentur, Blue Ant?«
    »Nicht offiziell«, sagte Milgrim, was in seinen Ohren gar nicht gut klang. »Ich arbeite für den Gründer und CEO.« Nachdem er das ausgesprochen hatte, wurde ihm bewusst, dass der Begriff »CEO« inzwischen einen irgendwie schmierigen Beigeschmack angenommen hatte.
    Sie nickte und sah ihm wieder in die Augen. »Sie scheinen kaum Spuren hinterlassen zu haben, Mr. Milgrim. Columbia? Slawische Sprachen? Übersetzungen? Kurzzeitig für die Regierung gearbeitet?«
    »Ja.«
    »Völlig geschichtslos, jedenfalls was Choice-Point betrifft. Und das bedeutet, dass Sie in den letzten zehn Jahren nicht einmal eine Kreditkarte besessen haben. Auch Wohnsitze sind keine bekannt. Wenn ich raten müsste, Mr. Milgrim, würde ich sagen, Sie hatten ein Drogenproblem.«
    »Tja also«, sagte Milgrim, »ja.«
    »Sie sehen mir aber nicht so aus, als hätten Sie immer noch Probleme mit Drogen«, sagte sie. »Tatsächlich?«
    »Nein. Sie sehen aus, als seien Ihnen aus der Zeit, als Sie ein Drogenproblem hatten, noch ein paar Reflexe geblieben. Und als seien Sie möglicherweise in zweifelhafte Gesellschaft geraten. Genau darüber möchte ich mit Ihnen reden.«
    Milgrim nahm einen Schluck von seinem Getränk. Irgendeine ätzend bittere italienische Zitronenlimonade. Ihm schössen die Tränen in die Augen.
    »Warum sind Sie nach Myrtle Beach gefahren, Mr. Milgrim? Kannten Sie den Mann, mit dem Sie sich dort getroffen haben?« »Seine Hosen.« »Seine Hosen?«
    »Ich habe die Details abgepaust«, sagte Milgrim, »und sie fotografiert. Er ist dafür bezahlt worden.« »Wissen Sie, wie viel?«
    »Nein«, sagte Milgrim. »Ein paar Tausend.« Er machte mit Daumen und Zeigefinger unwillkürlich eine Geste, die die Höhe eines gewissen Stapels von Hundert-Dollar-Noten anzeigen sollte. »Sagen wir, ungefähr zehn.«
    »Und waren diese Hosen Eigentum des Verteidigungsministeriums?«, fragte sie und sah ihn dabei direkt an.
    »Ich hoffe nicht«, erwiderte Milgrim, der sich plötzlich furchtbar elend fühlte.
    Sie nahm einen großen Schluck Bier. Und blickte ihm dabei weiter in die Augen. In einem der angrenzenden Räume der Selbstbedienungsbar, hinter geschlossenen Glastüren, deren Rahmen aus demselben rötlichen Mahagoni bestand, kicherte jemand. Das Kichern passte zum Dekor.
    »Ich kann Ihnen sagen, dass sie es nicht waren«, sagte sie.
    Milgrim schluckte trocken. »Nicht?«
    »Aber sie wären es gerne. Das könnte ein Problem sein. Erzählen Sie mir mehr über den Mann, der sie Ihnen gezeigt hat.«
    »Er hatte einen Vokuhila«, sagte Milgrim, »und er trug Blackie-Collins-Toters.«
    »Er trug was?«
    »Toters«, sagte Milgrim. »Ich habe sie gegoogelt. Sie haben Cordura-Plus-Taschenfutter, für Waffen und solche Sachen. Und Außentaschen für Messer und Taschenlampen.«
    »Ach so«, sagte sie und lächelte kurz, »klar.«
    »Sleight hat gesagt, er sei Special ... irgendwas?«
    »Sicherlich denkt er das selber.«
    »War er tatsächlich bei den Special Forces?«
    »Sleight«, sagte sie, »Oliver. Britischer Staatsbürger, wohnhaft in Kanada. Arbeitet für Blue Ant.«
    »Ja«, sagte Milgrim und stellte sich Sleights Foto an ihrer Wand vor. »Sonst hat er nicht viel gesagt. Außer, dass ein Zwickel fehlte.«
    »Zwickel?«
    »Der Hose.« Dann fiel es ihm wieder ein: »Die schlauste Designanalytikerin bei Blue Ant glaubt, dass sie nicht zu militärischen Zwecken hergestellt wurde. Sie ist der Meinung, dass es sich um Straßenkleidung handelt. Ich glaube, sie hat recht.«
    »Warum?«
    »Kojotenbraun.« Er zuckte mit den Achseln. »Letztes Jahr. Im Irak.«
    »Ich war im Irak«, sagte sie. »Drei Monate. In der Grünen Zone. Ich konnte diese Farbe irgendwann auch nicht mehr sehen.«
    Milgrim fiel nichts ein, was er darauf hätte erwidern können. »War es gefährlich?«, fragte sein innerer Roboter.
    »Es gab da einen Cinnabon«., sagte sie. »Meine Kinder haben mir gefehlt.« Sie trank ihr Bier aus und stellte die

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