System Neustart
auch alles vertrauter.
Wahrscheinlich war es besser, wenn er auf den Mann in der laubgrünen Hose wütend war. Mr. Laubfrosch. Auf Laubfrosch war er eindeutig nicht gut zu sprechen. Obwohl er nicht die geringste Ahnung hatte, wer Laubfrosch sein könnte, was seine Absichten waren oder warum er ihm, Hollis oder ihnen beiden folgte. Wenn Laubfrosch nicht für Winnie arbeitete, dann stand er vielleicht in den Diensten von Blue Ant oder von Bigend privat. Oder er arbeitete, zog man die neue Einstellung Bigends gegenüber Sleight in Betracht, für diesen. Es konnte aber auch sein, dass er für keinen von ihnen arbeitete. Womöglich wat er ein vollkommen neuer Teil der Gleichung.
»Aber gibt es denn überhaupt eine Gleichung?«, fragte er sich selbst oder seine Therapeutin. Sie antwortete jedoch nicht mehr.
Rue du Temple stand auf einem Schild an der Straßenecke; es war an der Mauer eines Gebäudes befestigt, das aussah, als würde es einer Zeichnung von Dr. Seuss entstammen. Die Straße war etwas breiter. Er wandte sich nach rechts. Ging an einem kunstvoll verzierten, im viktorianischen Stil gehaltenen Chinarestaurant vorbei. Entdeckte schließlich ein Tabakgeschäft, in dem man auch Kaffee trinken konnte. Sein offizielles, spindelförmiges und rot erleuchtetes TABAC-Schild ließ Nikotinmangel wie einen medizinischen Notfall erscheinen. Ohne zu zögern trat er ein.
»WLAN?«
»Oui.«
»Einen Espresso, bitte.« Er nahm an der authentisch wirkenden, mattglänzenden, verzinkten Theke Platz. Ein schwacher, aber deutlich wahrnehmbarer Zigarettengeruch hing in der Luft, obwohl niemand rauchte. Er war der einzige Gast.
Seine Therapeutin hatte die Vermutung geäußert, dass seine Unfähigkeit, die romanischen Sprachen zu meistern, zu allumfassend und weitreichend und daher vermutlich emotional begründet war, aber sie hatten es nicht mehr geschafft, der Sache auf den Grund zu gehen.
Nachdem er sich von dem Mann an der Theke das Passwort besorgt hatte (»dutemple«), loggte er sich bei Twitter ein. Sein Passwort dort war eine Umschrift der russischen Übersetzung von »Gay Dolphin«, wobei er die kyrillischen Buchstaben auf der lateinischen Tastatur nur ungefähr wiedergegeben hatte.
Ihr »Wo snd Sie jtzt?« war »vor 2 Stunden vom Tweet-Deck« gesendet worden.
»Paris«, tippte Milgrim. »Werden verfolgt. Ein Mann. Gestern in London. Gehört er zu Ihnen?« Er klickte auf den Twittern-Knopf. Trank einen Schluck von seinem Espresso. Aktualisierte das Fenster.
»Beschreiben Sie ihn«, kam weniger als fünf Sekunden später vom Tweet-Deck zurück.
»Ein Weißer, sehr kurze Haare, Sonnenbrille, in den Zwanzigern, mittelgroß, athletisch.« Er schickte die Antwort raus und beobachtete die Passanten, die draußen vorbeigingen.
Dann aktualisierte er das Fenster. Die nächste Nachricht bestand lediglich aus einer kurzen URL, die 40 Sekunden vorher vom Tweet-Deck gesendet worden war. Er klickte sie an. Und da war Laubfrosch. Er trug eine olivbraune Jacke, die der schwarzen glich, die er vorhin angehabt hatte, und eine schwarze, enganliegende Strickmütze statt der Feldmütze. Seltsamerweise wurden seine Augen von einem schwarzen Balken verdeckt, der per Photoshop eingefügt worden war, wie bei alten Pornofotos.
Milgrim warf einen Blick auf die Überschrift der Seite und den Bildtext - irgendetwas über »Ausrüstung für Eliteeinheiten«. Dann nahm er das Bild genauer unter die Lupe, um sich zu vergewissern, dass es tatsächlich derselbe Mann war. »Ja«, schrieb er. »Wer ist das?« Und klickte auf Twittern.
Als er das Fenster aktualisierte, war ihre Antwort 30 Sekunden alt. »Machen Sie sich keine Sorgen. Lssen Sie ihn nicht wssen, dss Sie ihn entdeckt hben«, hatte sie geschrieben.
Er hatte etwas Mühe, ihre Antwort zu entziffern. »Bigend?«, schrieb er zurück.
»Wnn Sie widr da snd«
»Hollis denkt, dass wir morgen zurück sein werden.«
»Sie Glcksplz snd in Paris«
»Ende«, schrieb er zurück, obwohl er nicht wusste, ob das richtig war. Ihr Telegrammstil war irgendwie ansteckend. Er speicherte die URL der Seite für Eliteeinheiten unter den Lesezeichen, loggte sich dann aus Twitter und seiner Webmail aus und klappte den Computer zu. Sein Neo läutete. Der archaische Klingelton erfüllte den Tabakladen. Der Mann hinter der Theke runzelte die Stirn.
»Ja?«
»Sie Glückspilz sind in Paris.« Pamela Mainwaring. »Keiner von uns.«
Sein erster Gedanke war, dass sie irgendwie sein Twitter-Gespräch mit Winnie
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