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System Neustart

System Neustart

Titel: System Neustart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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zurückliegende Epoche dargestellt zu sehen. Dabei fragte sie sich, ob sie gerade eine weitere »Epoche« durchlebte und wie diese wohl genannt werden würde. Die ersten Jahre des gegenwärtigen Jahrhunderts, so schien es ihr, waren noch nicht mit einer feststehenden Nomenklatur versehen worden. Vor allem wenn sie Kleidungsstücke aus den letzten Jahren sah, hatte sie ein komisches Gefühl. Wahrscheinlich betrachtete sie die Mode, die sie selbst früher getragen hatte, inzwischen mit anderen Augen und machte etwas Zeitgemäßeres daraus. Sie entsprach nie ganz ihren Erinnerungen. Die Schultern waren sonderbar und Säume und Taillen nie dort, wo sie sie erwartete.
    Allerdings hatten ihre eigenen Achtziger keinesfalls Gaultier, Mugler, Alaïa oder Montana geglichen, was, wie sie allmählich begriff, die Version war, die hier präsentiert wurde.
    Sie warf einen Blick auf das von Hand geschriebene Preisetikett an einer purpurroten Wolljacke von Mugler. Wenn Heidi hier wäre und auf solche Sachen stünde, dann könnte sie Schwanzlurchs verbliebene Kreditkarten wohl innerhalb einer Stunde abfackeln, und ihre Beute würde trotzdem noch problemlos in ein einziges Taxi passen.
    Sie blickte hoch und zuckte vor sich selbst zurück - Anton Corbijns Porträt von 1996, vergrößert und aufgezogen, hing an einer durchsichtigen Angelschnur über dem Mugler-Ständer. Ein Anachronismus, dachte sie bei sich. Nicht einmal ihre Zeit.
    Um dem Porträt zu entfliehen, lehnte sie das Angebot ab, die Wolljacke anzuprobieren. Stattdessen wandte sie sich um und kramte ihr iPhone heraus. Bigend nahm ab, bevor er sein Telefon überhaupt hatte klingeln hören.
    »Haben Sie sonst noch jemanden hierher geschickt, Hubertus?«
    »Nein«, sagte er. »Sollte ich?«
    »Sie haben uns im Selfridges nicht beobachten lassen?« »Nein.«
    »Milgrim glaubt, dass er jemanden gesehen hat, dort und hier.« »Das ist wohl immer möglich. Unser Pariser Büro weiß nicht, dass Sie in der Stadt sind. Möchten Sie Gesellschaft?« »Nein. Ich wollte nur sichergehen.« »Haben Sie etwas für mich?«
    »Noch nicht. Bin gerade erst angekommen. Danke.« Sie legte auf, bevor er sich verabschieden konnte. Stand mit erhobenem Arm da, das Telefon auf Ohrhöhe, und war sich plötzlich bewusst, was für eine zeittypische Haltung sie gerade eingenommen hatte. Ein beträchtlicher Teil der öffentlichen Gestik, die früher nur mit Zigaretten denkbar gewesen war, war auf Mobiltelefone übergegangen. Der Frau in Corbijns Porträt war das alles völlig fremd.
    Nachdem sie die Nummer gewählt hatte, die Clammy ihr gestern Abend gegeben hatte, klingelte es mehrmals, bevor jemand abnahm. »Ja?«
    »George? Hier ist Hollis Henry. Wir sind uns im Cabinet begegnet, als Reg noch dort wohnte.«
    »Ja«, sagte er. »Clammy hat angerufen. Du möchtest mit Mere sprechen.«
    »Das wäre nett, ja.«
    »Und du bist hier?«
    »Ja.«
    »Ich fürchte, das ist nicht möglich.« George klang eher wie ein junger Anwalt, und nicht wie der Keyboarder der Bollards. »Möchte sie nicht darüber reden?« »Nein, gar nicht.« »Das tut mir leid«, sagte sie.
    »Nein, wirklich«, sagte er. »Gar nicht. Sie bringt gerade ein Geschäft unter Dach und Fach - die Chanelkostüme, die sie aus Melbourne mitgebracht hat. Die japanischen Einkäufer haben sie zum Mittagessen eingeladen. Ich kümmere mich solange um den Stand.«
    Hollis hielt das iPhone ein Stück weg, seufzte erleichtert und hielt es sich dann wieder ans Ohr. »Sie hat also nichts dagegen, sich mit mir zu unterhalten?«
    »Nein, gar nicht. Sie steht auf deine Musik. Ihre Mutter ist ein Riesenfan. Wo bist du?«
    »Im ersten Stock. Nicht weit weg von der Treppe.«
    »Hast du das Bild von dir gesehen, das dort hängt?«
    »Ja«, sagte sie. »Das ist mir aufgefallen.«
    »Wir sind ganz hinten. Ich halte nach dir Ausschau.«
    »Danke.« Sie ging weiter, vorbei an einer Auslage mit Arbeitskleidern aus Denim, von denen sie bezweifelte, dass sie aus den Achtzigern stammten. Ihrer Meinung nach waren sie alle älter als der Verkäufer, und der schien ihr Mitte vierzig zu sein. Er beobachtete sie genau, während sie an ihm vorbeischlenderte; die Hounds-Jacke vermutlich.
    Sie entdeckte Olduvai George hinter einem Archipel durchsichtiger orangefarbener Möbel, die ebenso wenig nach Achtzigern aussahen. Er lächelte — ein schick angezogener, gut aussehender Menschenaffe in Jeans und einem khakifarbenen Regenmantel.
    »Wie geht es dir?«
    »Danke, gut«, erwiderte

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