Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
System Neustart

System Neustart

Titel: System Neustart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
Vom Netzwerk:
ausgestrahlt und sich ähnlich ökonomisch bewegt. Laubfroschs Bedrohlichkeit hatte womöglich eher etwas mit Gemeinheit zu tun als mit Stärke, dachte Milgrim, während er den Mund des Mannes unter dem schwarzen Rechteck betrachtete. Obwohl er auch schon erlebt hatte, dass ein Mensch beide Eigenschaften in sich vereinte - und das war alles andere als gut gewesen.
    Er klickte sich noch einmal durch die Seite. Bigend würde sich bestimmt dafür interessieren, aber wahrscheinlich hatten seine Mitarbeiter sie ihm schon gezeigt. Das war genau das, womit sie sich befassten. Er stellte fest, dass auf der Webseite weder Markennamen noch Preise angezeigt wurden. Die URL bestand nur aus einer Abfolge von Buchstaben und Zahlen. War es also doch keine Webseite, sondern eine Attrappe, eine Nachbildung? Die »Uber uns«-Seite war leer und ebenso die »Bestellen«-Seite.
    Draußen war ein besonders tiefes Auspuffknattern zu hören. Er blickte hoch und sah ein schwarzes Motorrad langsam vorbeifahren. Der Fahrer trug einen gelben Helm und wandte kurz das dunkle Plastikvisier in Milgrims Richtung. Einen Moment lang waren auf der Rückseite des Helms breite, weiße, diagonal verlaufende Kratzer in der gelben Farbschicht zu erkennen.
    Genau solche Details waren es, für deren Entdeckung Bigend ihn so schätzte.

29. Zittern
    »Sleight«, sagte Bigend, als würde ihn der Name ermüden, »hat nach Milgrim gefragt. Ist er bei Ihnen?«
    »Nein«, sagte Hollis, auf dem Bett ausgestreckt, frisch geduscht und in mehrere der nicht besonders großen Handtücher des Hotels gewickelt. »Ist der nicht in New York? Sleight, meine ich.«
    »Toronto«, sagte Bigend. »Er behält Milgrim im Auge.«
    »Tatsächlich?« Sie warf einen Blick auf ihr iPhone. Für Bigend hatte sie kein Icon gespeichert. Vielleicht ein leeres Rechteck in Yves-Klein-Blau?
    »Anfangs war es dringend geboten, Milgrim im Auge zu behalten. Darum hat sich vor allem Sleight gekümmert.«
    »Behält er mich auch im Auge?« Sie schaute zu der blauen Figurine hinüber.
    »Sollte er das?«
    »Nein. Ich würde sofort jeden Kontakt zu Ihnen abbrechen.« »So hatte ich das auch verstanden. Wo haben Sie Ihr Telefon gekauft?«
    »Im Apple Store. In SoHo. SoHo in New York. Warum?« »Ich würde Ihnen gerne ein anderes schenken.« »Warum interessiert es Sie, wo ich dieses hier gekauft habe?« »Ich wollte nur wissen, ob Sie es selbst gekauft haben.« »Mit dem letzten Telefon, das Sie mir geschenkt haben, Hubertus, haben Sie mich überwacht.« »Das werde ich nie wieder tun.« »Jedenfalls nicht mit einem Telefon.« »Das verstehe ich nicht.«
    Sie schnippte mit dem Finger gegen die Figurine. Diese wackelte auf ihrem runden Sockel hin und her.
    »Sie wissen, wie sehr ich um die Integrität von Kommunikation besorgt bin«, sagte er.
    »Ich weiß nicht, wo Milgrim ist«, sagte sie. »War das alles, was Sie wissen wollten?«
    »Sleight behauptet, er hätte Paris verlassen. Hat sich vielleicht aus dem Staub gemacht. Halten Sie das für wahrscheinlich?«
    »Er ist schwer zu durchschauen. Jedenfalls für mich.«
    »Er verändert sich«, sagte Bigend. »Das ist das Interessante an jemandem in seiner Situation. Er findet immer mehr zu sich selbst.«
    »Vielleicht will er einfach nicht mehr, dass Sleight weiß, wo er ist.«
    »Wenn Sie ihn sehen«, sagte Bigend, »würden Sie ihn dann bitten, mich anzurufen?«
    »Ja«, sagte sie. »Auf Wiederhören.«
    »Auf Wiederhören, Hollis.«
    Sie nahm die Figurine in die Hand. Sie wog nicht mehr als früher, jedenfalls soweit sie sich erinnern konnte, und das war nicht viel. Sie war hohl und hatte keine Nähte. Es war unmöglich festzustellen, was sich darin befand.
    Als ihr Telefon wieder klingelte, setzte sie sich auf dem Bett auf, noch immer in leicht feuchte Handtücher gewickelt. Die Schwarz-Weiß-Fotografie von Heidi. »Heidi?«
    »Ich bin in dem Fitnessstudio. In Hackney.«
    »Ja?«
    »Einer meiner Sparringpartner hier behauptet, er würde deinen Kerl kennen.«
    Die goldenen Kringel völlig sinnloser chinesischer Kalligraphie auf der Tapete ihr gegenüber schienen zu verschwimmen, sich von der Wand zu lösen und auf sie zuzuschweben. »Tatsächlich?«
    »Du hast mir nie seinen Nachnamen verraten.«
    »Nein«, sagte Hollis.
    »Beginnt mit W, endet mit s?«
    »Ja.«
    Eine uncharakteristische Pause. Heidi dachte nie darüber nach, was sie als Nächstes sagen wollte. »Wann hast du das letzte Mal etwas von ihm gehört?«
    »Kurz vor oder nach der

Weitere Kostenlose Bücher