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System Neustart

System Neustart

Titel: System Neustart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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sehr gefährlich werden. Die japanischen Jeans zum Beispiel, in die sie gerade schlüpfte, hatte sie letzte Woche in einem Geschäft um die Ecke von Inchmales Studio gekauft. Zenleere. Schalen mit Splittern von reinem, kristallisiertem Indigo, wie blauschwarzes Glas. Die attraktive ältere Japanerin, die den Laden betrieb, in ihrem Warten-auf-Godot-Oufit.
    Darauf musst du jetzt achten, ermahnte sie sich. Geld.
    Als sie sich die Zähne putzte, bemerkte sie die Blue-Ant-Figurine aus Vinyl, die zwischen ihren Lotionen und dem Make-up auf dem Rand des Marmorwaschbeckens stand. Du hast mich im Stich gelassen, sagte sie im Geiste zu der Ameise, die keck ihre vier Arme in die Hüften stemmte. Von einigen Schmuckstücken abgesehen, gehörte sie zu den wenigen Dingen in ihrem Besitz, die sie hatte, seit sie Hubertus Bigend kannte. Mindestens einmal hatte sie versucht, sie loszuwerden, aber irgendwie war ihr das nicht gelungen. Eigentlich hatte sie gedacht, sie hätte die Figurine in Bigends Penthouse in Vancouver zurückgelassen, aber sie hatte sich in ihrer Tasche befunden, als sie in New York eingetroffen war. In ihrer Phantasie war die Ameise zu so etwas wie einem Glücksbringer mit umgekehrtem Vorzeichen geworden. Die Karikatur des Markenzeichens von Bigends Agentur hatte ihr als Symbol dafür gedient, dass sie nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte.
    Sie hatte darauf vertraut, dass die Ameise ihn fernhalten würde.
    Sonst hatte sie kaum irgendwelche Besitztümer ersetzen müssen, erinnerte sie sich, während sie mit Mundwasser gurgelte. Dafür hatten die Dotcom-Blase und ein unbedachter Versuch, einen Laden für Vinylschallplatten aufzuziehen, gesorgt, und zwar noch bevor Hubertus sie entdeckt hatte. So knapp bei Kasse war sie derzeit gar nicht, aber wenn sie ihren Steuerberater richtig verstanden hatte, hatte sie fast fünfzig Prozent ihres Vermögens verloren, als der Markt zusammengebrochen war. Und dieses Mal trug sie nicht einmal die Schuld daran - sie hatte keine Aktien irgendwelcher Start-ups gekauft und keinen abenteuerlichen Plattenladen in Brooklyn eröffnet.
    Alles, was sie im Moment besaß, befand sich in diesem Zimmer. Abgesehen von einigen Anleihen, die im Wert gefallen waren, und ein paar Kisten mit amerikanischen Belegexemplaren im Tribeca Grand. Sie spuckte in das Marmorbecken aus.
    Inchmale hatte nichts gegen Bigend, jedenfalls nicht so wie sie, allerdings neigte er trotz seiner beeindruckenden Intelligenz zu einfachen Denkmustern, eine ihm eigene psychische Hornhaut. Er fand Bigend interessant. Möglicherweise war er ihm auch unheimlich, allerdings waren interessant und unheimlich für Inchmale einander überschneidende Kategorien. Für so absonderlich hielt er Bigend vermutlich gar nicht. Ein stinkreicher, gefährlich neugieriger Kerl, der sich an dem zu schaffen machte, was die Welt im Innersten zusammenhielt.
    Jemandem wie Bigend konnte man unmöglich erklären, dass man nichts mit ihm zu tun haben wollte. Das hätte nur zur Folge gehabt, dass er sich noch mehr für einen interessierte. Immerhin hatte sie einmal für Bigend gearbeitet; zwar nicht lange, aber diese Zeit war viel zu ereignisreich gewesen. Sie hatte damit abgeschlossen und sich um ihr Buchprojekt gekümmert, das sich ganz natürlich aus dem entwickelt hatte, was sie für Bigend getan hatte (oder glaubte, für ihn zu tun).
    Sie hakte ihren BH zu. Allerdings durfte sie nicht vergessen, dass sie das Geld, das nun auf die Hälfte zusammengeschrumpft war, über Blue Ant erhalten hatte. Keine Frage. Sie zog einen schwarzen Angorapullover über ihr T-Shirt, strich ihn über den Hüften glatt und krempelte die Ärmel auf. Dann setzte sie sich auf die Bettkante und schlüpfte in ihre Schuhe. Und wieder zurück ins Bad, um sich zu schminken.
    Handtasche, iPhone, Quastenschlüssel.
    Und hinaus und vorbei an den identischen Zierruinen in ihren unterschiedlichen Landschaften. Auf den Knopf drücken und auf den Fahrstuhl warten. Sie legte die Stirn an den Eisenkäfig, um zuzuschauen, wie der Lift nach oben glitt. Auf seiner Oberseite war irgendeine komplizierte elektromechanische Teslaspule befestigt, die kein Designer mehr aufmotzen musste — das Ding war echt, welchen Zweck es auch immer erfüllen mochte. Und es war, wie sie jedes Mal mit einer gewissen Befriedigung feststellte, mit ein paar ehrlichen Wollmäusen bedeckt, eigentlich der einzige Staub, den sie bisher im Cabinet entdeckt hatte. Sogar ein paar verirrte Zigarettenstummel was waren

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