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Szenen aus dem Landleben - Die Bauern (German Edition)

Szenen aus dem Landleben - Die Bauern (German Edition)

Titel: Szenen aus dem Landleben - Die Bauern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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welche alle beide gewohnt waren, die besten Bissen zu essen, besseren Wein als den zu trinken, welchen sie verkauften und der ihnen als Bezahlung für den ihrigen von ihrem Geschäftsfreunde in Soulanges geliefert wurde. Die von der Familie gewonnene Geldsumme belief sich also auf ungefähr neunhundert Franken, denn sie machten auch noch jährlich zwei Schweine, eins für sich und eins zum Verkaufen, fett.
    Die Arbeiter, die üblen Subjekte des Landes, faßten mit der Zeit eine Vorliebe für die Schenke des Grand-I-vert, ebensosehr wegen der Talente der Tonsard wie wegen der Kameradschaft, die zwischen der Familie und dem gewöhnlichen Volke des Tales bestand. Die beiden Töchter – alle beide waren sie auffallend schön – setzten die Sitten ihrer Mutter fort. Schließlich verlieh das Alter dem Grand-I-vert, das aus dem Jahre 1795 stammte, auf dem Lande einen Nimbus. Von Conches bis nach Ville-aux-Fayes kamen die Arbeiter dorthin, um ihre Käufe abzuschließen und dort die Neuigkeiten zu hören, die von Tonsards Töchtern aus ihm, aus Mouche und Fourchon herausgeholt oder von Vermichel und von Brunet ausgeplaudert wurden, dem renommiertesten Gerichtsdiener in Soulanges, wenn er seinen Sachverständigen dort besuchte. Dort wurden die Preise für Heu, Wein, die für Tages- und Akkordarbeiten festgesetzt. Tonsard, ein unübertrefflicher Beurteiler dieser Dinge, gab dort, indem er mit den Trinkern anstieß, Gutachten ab. Soulanges war, wie man in der Gegend sagte, lediglich eine Gesellschaftsstadt, wo man sich amüsierte; und Blangy war Handelsstadt, die nichtsdestoweniger von dem großen Zentrum: Ville-aux-Fayes unterdrückt wurde, das in fünfundzwanzig Jahren die Hauptstadt dieses herrlichen Tales geworden war. Der Vieh- und Getreidemarkt behauptete seinen Platz in Blangy und seine Preise dienten der Provinz als Marktbericht.
    Da die Tonsard sich im Hause hielt, war sie frisch, weiß und rundlich geblieben, im Gegensatze zu den Bauernweibern, die ebenso schnell wie Blumen verblühen und mit dreißig Jahren bereits alt sind. Auch zog die Tonsard sich gern gut an. Sie war zwar nur sauber; doch wird Sauberkeit auf dem Lande für Luxus gehalten. Die Töchter, die besser gekleidet waren, als es ihrer Armut entsprach, folgten dem mütterlichen Beispiel. Unter ihrem, relativ fast eleganten Mieder trugen sie feinere Leibwäsche, als die reichsten Bäuerinnen sie hatten. An Feiertagen zeigten sie sich in hübschen Kleidern, die sie sich, Gott weiß wie, verdient hatten! Die Dienerschaft von Les Aigues verkaufte ihnen zu erschwinglichen Preisen den Plunder der Kammerfrauen, der über die Pariser Straßen gefegt war und, zu Maries und Catherines Benutzung wieder aufgefrischt, sich triumphierend unter dem Wirtshausschilde des Grand-I-verts breitmachte. Die beiden Mädchen, die Bummlerinnen des Tales, erhielten nicht einen Heller von ihren Eltern, die ihnen einzig die Nahrung gaben, und schliefen mit ihrer Großmutter in elend schlechten Betten auf dem Speicher, wo auch ihre Brüder, wie Tiere in dasselbe Heu gekauert, schliefen. Weder Vater noch Mutter dachten sich etwas bei dieser Vermischung.
    Das eiserne und goldene Zeitalter ähneln sich mehr, als man denkt. Im einen hat man auf nichts, im anderen auf alles acht; für die Gesellschaft ist das Resultat vielleicht dasselbe. Die Anwesenheit der alten Tonsard, die mehr nach Notwendigkeit wie nach Bürgschaft aussah, war eine Unmoralität mehr.
    So sagte der Abbé Brossette, nachdem er die Sitten seiner Pfarrkinder studiert hatte, zu einem Bischof:
    »Wenn man sieht, Hochwürden, wie die Bauern ihr Elend ausnützen, errät man, daß sie zittern, den Vorwand zu ihren Zügellosigkeiten zu verlieren.«
    Wiewohl jedermann wußte, wie wenig Grundsätze und Skrupeln sich diese Familie machte, fand kein Mensch an den Sitten des Grand-I-verts etwas zu tadeln. Zu Beginn dieser Szene muß man den an die Moral der Bürgerfamilien gewöhnten Leuten ein für allemal erklären, daß Bauern, was häusliche Sitten anlangt, kein Zartgefühl besitzen. Wird eine ihrer Töchter verführt, so berufen sie sich auf Moral nur, wenn der Verführer reich und ängstlich ist. Bis ihnen der Staat die Kinder nimmt, bilden sie Kapitalien oder Werkzeuge des Wohlstandes für sie. Besonders seit 1789 ist Eigennutz die einzige Triebfeder ihrer Gedanken geworden; bei ihnen handelt es sich nie darum zu wissen, ob eine Handlung gesetzlich oder unanständig, sondern ob sie einträglich ist. Die Moralität, die man

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