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Szenen aus dem Landleben - Die Bauern (German Edition)

Szenen aus dem Landleben - Die Bauern (German Edition)

Titel: Szenen aus dem Landleben - Die Bauern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Musterungskommission erscheinen mußte, hatte auf Grund der Beschwerden von Les Aigues gegen die Familie Tonsard wenig Hoffnung auf des Generals Protektion. Seine Liebe oder, besser gesagt, seine Versessenheit, seine Laune für die Péchina wurden dermaßen aufgestachelt durch das Fortmüssen, das ihm keine Zeit mehr ließ, sie zu verführen, daß er Gewalt gebrauchen wollte. Die Verachtung, die das Kind seinem Verfolger kundtat und außerdem ein Widerstand voller Hartnäckigkeit hatten in dem Wüstling des Grand-I-Vert einen Haß entfacht, dessen Wut der seines Verlangens glich. Seit drei Tagen paßte er der Péchina auf; die arme Kleine war sich dessen wohl bewußt. Es herrschte zwischen Nicolas und seiner Beute die nämliche Witterung wie zwischen dem Jäger und dem Wilde. Wenn die Péchina einige Schritte über das Gatter hinausging, bemerkte sie Nicolas' Kopf in einer der mit den Parkmauern parallel laufenden Alleen oder auf der Avonnebrücke. Sie hätte sich dieser verhaßten Verfolgung wohl entziehen können, indem sie sich an ihren Großvater wandte, aber alle, selbst die harmlosesten Mädchen zittern aus einer seltsamen, vielleicht instinktiven Furcht heraus, bei derartigen Abenteuern sich ihren natürlichen Beschützern anzuvertrauen. Geneviève hatte Vater Niseron den Schwur tun hören, einen Mann, wer er auch sei, zu töten, der seine Enkelin »anrühre«, so lautete sein Wort. Der Greis wähnte das Kind durch die helle Aureole, welche eine sechzigjährige Rechtschaffenheit ihm eintrug, behütet. Die Aussicht auf furchtbare Dramen erschreckt die glühende Einbildungskraft junger Mädchen hinreichend genug, so daß es nicht nötig ist, in der Tiefe ihrer Herzen nachzuforschen, um dort die zahlreichen und seltsamen Gründe zu finden, die ihnen in solchen Fällen das Siegel des Schweigens auf die Lippen drücken.
    Im Augenblick, wo sie die Milch forttragen sollte, die Madame Michaud der Tochter Gaillards, des Wächters des Conchestors, dessen Kuh gekalbt hatte, sandte, wagte die Péchina sich nicht fort, ohne wie eine Katze, die außerhalb des Hauses herumstreift, eine Untersuchung angestellt zu haben. Sie sah keine Spur von Nicolas, hörte das Schweigen, wie der Dichter sagt, und da sie nichts hörte, dachte sie, daß der Bösewicht zurzeit bei der Arbeit wäre. Die Bauern begannen den Roggen zu mähen; denn sie ernten zuerst ihre Parzellen ab, um dann die hohen Tagelöhne, die man den Schnittern gibt, verdienen zu können. Nicolas aber war nicht der Mensch, dem Verluste zweier Tagelöhne nachzuweinen, und das um so weniger, als er das Land nach dem Jahrmarkt von Soulanges verließ und Soldat wurde, was für den Bauer ein neues Leben anfangen heißt.
    Als die Péchina mit ihrem Krug auf dem Kopfe den halben Weg zurückgelegt hatte, purzelte Nicolas wie eine Wildkatze von einer hohen Ulme, in deren Blattwerk er sich verborgen hatte, herunter und schlug wie ein Blitz zu der Péchina Füßen ein, die ihren Krug fortwarf und sich, um den Pavillon zu erreichen, auf ihre Behendigkeit verließ. Hundert Schritte von dort sprang Cathérine Tonsard, die Spähe stand, aus dem Walde und prallte so heftig auf die Péchina, daß sie sie zu Boden warf. Die Wucht des Stoßes betäubte das Kind, Catherine hob sie auf, nahm sie in ihre Arme und führte sie in die Waldesmitte auf eine kleine Wiese, wo die Silberquelle sprudelt.
    Die große und kräftige Cathérine glich in allen Punkten jenen Mädchen, die Bildhauer und Maler wie ehedem für die Republik, zum Modell für die Freiheit nehmen. Sie entzückte die Jugend des Avonnetals durch den nämlichen üppigen Busen, die nämlichen muskulösen Beine, die nämliche zugleich kräftige und biegsame Figur, die vollen Arme, das sprühende Auge, durch die stolze Miene, die in dicken Strähnen geflochtenen Haare, die männliche Stirn, den roten Mund, die durch ein fast wildes Lächeln aufgeworfenen Lippen, die Eugène Delacroix und David (von Angers) beide wundervoll erfaßt und dargestellt haben. Abbild des Volkes, sprühte die hitzige und braune Cathérine Aufruhr aus ihren hellgelben Augen, die durchdringend und mit soldatischer Unverschämtheit um sich blickten. Sie hatte von ihrem Vater ein solches Ungestüm mitbekommen, daß die ganze Familie außer Tonsard sie in der Schenke fürchtete.
    »Nun, wie fühlst du dich, Mädel?« sagte Cathérine zur Péchina.
    Cathérine hatte ihr Opfer absichtlich auf eine schwach gewölbte Stelle des Bodens bei dem Quell gesetzt, wo sie es mit

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