Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Szenen aus dem Landleben - Die Bauern (German Edition)

Szenen aus dem Landleben - Die Bauern (German Edition)

Titel: Szenen aus dem Landleben - Die Bauern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
Vom Netzwerk:
Einbildungskraft dadurch nur um so glühender auflodert, sobald sie sich gereizt sieht. Der gekochte Wein, den sie in Reserve hielt, sollte ihr Opfer vollends um seine Vernunft bringen. »Was ist denn drin?« fragte die Péchina.
    »Alle möglichen Sachen,« antwortete Cathèrine, indem sie nach der Seite blickte, um zu sehen, ob ihr Bruder käme: »Zuerst Gewürze, die aus Indien kommen, Zimt und Kräuter, die einen durch Zauber verwandeln ... Endlich glaubt man den zu halten, den man lieb hat! Das macht einen glücklich! Man fürchtet sich vor nichts mehr!«
    »Ich würde Angst haben, gekochten Wein beim Tanzen zu trinken!« sagte die Péchina.
    »Wieso?« entgegnete Cathèrine. »Es ist ja nicht die mindeste Gefahr dabei; denk' doch an all die Leute, die da sind. Alle die Bourgeois sehen uns an! Ach, solche Tage machen einem viel Elend erträglich! Das sehen und sterben, man würde es zufrieden sein!«
    »Wenn Monsieur und Madame Michaud hingehen wollten!« antwortete die Péchina, Feuer in den Augen.
    »Aber du hast deinen Großvater Niseron, den armen guten Mann, doch nicht verlassen, und ihm würde es doch sehr schmeicheln, dich wie eine Königin angebetet zu sehen! Ziehst du denn wirklich diese Arminacs von Michaud und so weiter deinem Großvater und den Burgundern vor? Es tut nicht gut, sein Land zu verleugnen. Und schließlich, was würden Michauds denn zu sagen haben, wenn dein Großvater dich auf das Fest in Soulanges führte? ... Oh, wenn du wüßtest, was es heißt, einen Mann regieren, sein Schwarm zu sein und zu ihm sagen zu können: ›Geh dahin,‹ wie ich's zu Godain sage, und er geht hin! ... ›Tu das!‹ und er tut's! Und du bist so herausgeputzt, siehst du, meine Kleine, daß du einem Bourgeois, wie Monsieur Lupins Sohn, den Kopf verdrehen kannst. Wenn man bedenkt, daß Monsieur Amaury in meine Schwester Marie vergafft ist, weil sie blond ist, und daß er beinahe Angst vor mir hat ... Du aber hast, seitdem diese Leute aus dem Pavillon dich aufgedonnert haben, das Aussehen einer Kaiserin!«
    Indem sie es listig darauf anlegte, Nicolas vergessen zu machen, um das Mißtrauen in diesem harmlosen Gemüte zu zerstreuen, träufelte Cathérine in überschlauer Weise die Ambrosia der Schmeicheleien hinein. Ahnungslos hatte sie die heimliche Wunde dieses Herzens berührt. Ohne etwas anderes als ein armes Bauernmädchen zu sein, bot die Péchina das Bild einer erschreckenden Frühreife dar, wie viele Naturen, die bestimmt sind, eben erblüht, vor der Zeit zu sterben. Als ein seltsames Produkt montenegrinischen und burgundischen Bluts, das empfangen und durch die Mühsale des Kriegs im Mutterleibe getragen worden war, verspürte sie zweifelsohne die Nachwehen dieser Umstände. Dünn, schmächtig, braun wie ein Tabaksblatt und klein wie sie war, besaß sie eine unglaubliche Kraft, die aber den Augen der Bauern, welchen die Geheimnisse nervöser Konstitutionen unbekannt sind, verborgen war. Im medizinischen System des flachen Landes läßt man keine Nerven gelten. Mit dreizehn Jahren war Geneviève, obwohl sie kaum die Figur eines Kindes ihres Alters besaß, ausgewachsen. Verdankte ihr Gesicht ihrem Ursprung oder der burgundischen Sonne jenen zugleich dunklen und leuchtenden Goldtopasteint, der, dunkel durch die Farbe, leuchtend durch das Hautgewebe, einem kleinen Mädchen ein altes Aussehen gibt? Die medizinische Wissenschaft würde es vielleicht rügen, wenn man es bejahte. Dies vorzeitige Altaussehen der Gesichtszüge wurde durch die Lebhaftigkeit, den Glanz und die Lichtfülle wieder ausgeglichen, die aus der Péchina Augen zwei Sterne machten. Wie bei all jenen sonnedurchglühten Augen, die vielleicht nach starkem Schutz verlangen, waren die Lider mit Wimpern von fast übermäßiger Länge versehen. Die feinen, langen und vollen blauschwarzen Haare krönten mit ihren schweren Flechten eine Stirn, die modelliert war wie die der antiken Juno. Das prachtvolle Haardiadem, die großen armenischen Augen und die himmlische Stirn erdrückten das Gesicht. Obwohl die Nase in ihrem Ansatz von reiner Form und zierlich gebogen war, endigte sie etwas in der Art der Pferdenüstern. Die Leidenschaft blähte diese Nasenflügel manchmal auf, und die Physiognomie erhielt dann einen zornigen Ausdruck. Ebenso wie die Nase erschien die ganze untere Gesichtshälfte unvollendet, wie wenn den Fingern des göttlichen Bildhauers der Meißel entglitten wäre. Zwischen Unterlippe und Kinn war der Zwischenraum so kurz, daß man, wenn

Weitere Kostenlose Bücher