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Szenen aus dem Landleben - Die Bauern (German Edition)

Szenen aus dem Landleben - Die Bauern (German Edition)

Titel: Szenen aus dem Landleben - Die Bauern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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man die Péchina ans Kinn faßte, ihre Lippen berühren mußte. Die Zähne aber erlaubten nicht, diesem Mangel Beachtung zu schenken: man hätte diesen schimmernden, blanken, schön geschnittenen und durchscheinenden kleinen Knochen Seele zugesprochen. Ein zu großer Mund, der durch die geschwungenen Linien betont wurde, welche den Lippen Aehnlichkeit mit den krausen Windungen der Koralle gaben, ließ sie jeden Augenblick sehen. Das Licht drang so hell durch die Ohrmuscheln, daß sie in der vollen Sonne rosig erschienen. Der obschon rotbraune Teint offenbarte eine wunderbare Feinheit der Haut. Wenn, wie Buffon lehrt, die Liebe in der Berührung beruht, mußte die Weichheit dieser Haut aktiv und durchdringend wirken wie der Geruch des Stechapfels. Die Brust erschreckte ebenso wie der Leib durch ihre Magerkeit. Hände und Füße aber, die von herausfordernder Kleinheit waren, deuteten auf eine nervöse, überlegene Kraft, eine lebhafte Organisation.
    Diese Mischung von diabolischen Unvollkommenheiten und göttlichen Schönheiten, die trotz so vieler Dissonanzen harmonisch war, denn sie verschmolz durch einen wilden Stolz zur Einheit; dann diese in den Augen zu lesende Herausforderung eines schwachen Körpers durch eine starke Seele, all das machte dies Kind unvergeßlich. Die Natur hatte in diesem kleinen Wesen ein Weib schaffen wollen, die Umstände der Empfängnis verliehen ihr Gesicht und Körper eines Knaben. Wenn ein Dichter das seltsame Mädchen gesehen hätte, würde er ihr Yemen als Vaterland gegeben haben; sie hatte etwas von den Afriten und Genien arabischer Erzählungen.
    Die Physiognomie der Péchina log nicht. Sie hatte die Seele ihres Feuerblicks, den Geist ihrer durch ihre blendenden Zähne glänzenden Lippen, den Gedanken ihrer erhabenen Stirn und die Wut ihrer stets zum Wiehern bereiten Nüstern. Auch bewegte die Liebe, wie man sie in den heißen Sandgegenden, in den Einöden empfindet, das trotz der dreizehn Jahre zwanzigjährige Herz des montenegrinischen Kindes, das jenem schneeigen Gipfel gleich sich nie mit Frühlingsblumen schmücken sollte. Die Beobachter werden daher begreifen, daß die Péchina, bei der die Leidenschaft aus allen Poren drang, in verderbten Gemütern die durch Mißbrauch eingeschlummerte Phantasie erweckte, genau wie einem bei Tisch das Wasser im Munde zusammenläuft beim Anblick jener schwarz angefaulten Früchte voller Löcher, welche die Feinschmecker aus Erfahrung kennen und unter deren Haut die Natur erlesenen Geschmack und Duft zu bergen liebt. Warum jagte Nicolas, jener gewöhnliche Tagelöhner, dieser eines Dichters würdigen Kreatur nach, wenn alle Augen des Tales mit ihr Mitleid hatten, wie mit einer kränklichen Häßlichkeit? Warum empfand der alte Rigou die Leidenschaft eines jungen Mannes für sie? Wer von den beiden war jung oder alt? War der junge Bauer ebenso abgestumpft wie der alte Wucherer? Wie trafen die beiden Lebensextreme sich in einer gemeinsamen und verhängnisvollen Laune? Gleicht die Kraft, die zu Ende geht, der beginnenden Kraft? Die Ausschweifungen des Mannes sind Abgründe, welche von Sphinxen bewacht werden: sie beginnen und endigen fast alle mit Fragen, die man nicht beantworten kann.
    Nun muß man jenen Ausruf: Piccina!... verstehen, welcher der Gräfin entfuhr, als sie im vorhergehenden Jahre Geneviève am Wege sah, die verblüfft war über den Anblick einer Kalesche und einer wie Madame de Montcornet gekleideten Dame. Das fast verkümmerte Mädchen mit der Energie einer Montenegrinerin liebte den großen, schönen, vornehmen Hauptwächter, aber wie Kinder dieses Alters lieben, wenn sie lieben, das heißt mit der Wut kindlichen Verlangens, mit den Kräften der Jugend, mit der Ergebenheit, die bei wirklichen Jungfrauen göttliche Poesien erzeugen. Cathérine hatte also eben ihre plumpen Hände auf die empfindlichsten Saiten dieser Harfe gelegt, die alle zum Zerreißen angespannt waren. Unter Michauds Augen tanzen, aufs Fest in Soulanges gehen, dort glänzen und sich der Erinnerung dieses angebeteten Gebieters einprägen! ... Welche Gedanken! Hieß nicht, sie in diesen vulkanischen Kopf pflanzen, glühende Kohlen auf das der Augustsonne ausgesetzte Stroh legen?
    »Nein, Cathérine,« antwortete die Péchina, »ich bin häßlich und dürftig; mein Los ists, in einem Winkel leben, Mädchen und allein auf der Welt bleiben!«
    »Die Männer lieben die Spirrigen,« erwiderte Cathérine. »Da schau mich an,« sagte sie auf ihre beiden Arme weisend,

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