T Tödliche Spur: Thriller (German Edition)
großspuriges Gehabe verschwand, als er zwei und zwei zusammenzählte. »Das war unter dem Stein vergraben?«
»Ja.« Avas Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, selten hatte sie sich so schwach gefühlt. Ihre Beine zitterten. Trotzdem: Sie musste es einfach wissen! Sie schmeckte Galle in ihrem Mund.
»Öffnen Sie die Kiste.«
»Sind Sie sicher?«, fragte Dern noch einmal.
»Ja!«
Nein, mein Gott, ganz und gar nicht!
»Scheiße!«, ließ sich Jacob vernehmen, die Taschenlampen-App seines iPhones noch immer auf die Kiste gerichtet. Er trat einen Schritt zurück. Aus seinem Gesicht war alle Farbe gewichen, seine Hand mit dem iPhone zitterte heftig. »Ich … ich habe keine Ahnung, was zum Teufel das zu bedeuten hat, aber es gefällt mir gar nicht.«
»Öffnen Sie die Kiste«, wiederholte Ava. In der Ferne grollte Donner.
Dern bückte sich und versuchte, den Deckel aufzuklappen. »Er lässt sich nicht bewegen. Vermutlich ist er abgeschlossen. Ich muss ein Messer holen oder ein Brecheisen.«
»Das glaube ich nicht.«
Mit kalter Gewissheit zog Ava den Schlüssel aus ihrer Jeanstasche, kauerte sich neben den kleinen Sarg und steckte den Schlüssel ins Schloss. Ihre Kehle war staubtrocken.
Der Schlüssel passte.
Allmächtiger …
»Allmächtiger«, flüsterte auch Jacob, dem fast das iPhone aus der zitternden Hand glitt, »du wirst doch nicht –«
Klick.
Das Schloss öffnete sich.
»Ava.« Derns Hand schloss sich um ihre. Stark. Schwielig.
Ava nahm all ihre Kraft zusammen und öffnete den Deckel. Jacob leuchtete in die Kiste hinein.
Dort drinnen, das bleiche Gesicht nach oben gerichtet, die Augen weit geöffnet, lag ein kleiner, lebloser Körper.
Kapitel achtundzwanzig
V erfluchte Scheiße!« Jacob ließ sein iPhone fallen und taumelte zurück, wobei er fast über den Hund gestürzt wäre. Rover, der ohnehin schon nervös war, gab ein besorgtes Knurren von sich.
Entsetzt unterdrückte Ava einen Schrei und starrte die leblose Gestalt in dem provisorischen Sarg an, die Noahs roten Pullover und seine kleine verwaschene Jeanshose trug.
Von plötzlicher Übelkeit überwältigt, beugte sie sich vor und übergab sich, auch wenn ihr schlagartig klar wurde, dass das leblose Etwas in der Kiste nicht ihr Sohn war, nicht einmal ein Leichnam.
»Es ist eine Puppe«, stellte Dern mit erstaunlich ruhiger Stimme fest. Er richtete den Blick auf Jacob. »Bring das Licht hier rüber.«
Zu spät. Ava hob bereits das iPhone auf und richtete den Lichtstrahl in den Sarg, in dem eine große, alte Puppe mit einem Porzellangesicht lag. Der ehedem perfekte Teint war nun voller Sprünge und Risse. Ein Ohr war abgebrochen, ein Auge starrte nach oben, das Lid des anderen hing ein Stück hinunter. Das Haar der Puppe war kurz geschnitten und stand in kleinen Büscheln vom Kopf ab.
Ganz offensichtlich sollte die Puppe Noah ähneln. Was für ein perverser Scherz!
Avas Herz zog sich schmerzhaft zusammen, und sie fing wieder an zu zittern. Gott sei Dank war das hier nicht ihr Sohn, es bestand also immer noch Hoffnung, dass Noah am Leben war, dass sie ihn irgendwann wiedersehen würde. Doch wer tat etwas so Grauenhaftes? Wer hasste sie so sehr, dass er sie derart quälte? Sie biss sich auf die Lippe, um nicht zu weinen.
»Haben Sie die schon mal gesehen?«, fragte Dern.
Ava schüttelte den Kopf. »Nein.« Sie musste sich Mühe geben, ein Wort hervorzubringen. »Aber … aber die Kleidung. Sie gehört meinem Sohn.«
Dern starrte in die Kiste.
»Herrgott, das ist so pervers!« Jacob trat noch weiter zurück, als fürchte er, die Puppe könne plötzlich zum Leben erwachen.
Ausnahmsweise musste Ava ihrem Cousin recht geben.
»Sie glauben, jemand hat eine Puppe wie Ihren Jungen angezogen und anschließend hier vergraben«, sagte Dern vorsichtig.
»Ja. Das ist eine Mädchenpuppe, doch dann hat ihr jemand die Haare abgeschnitten, damit sie aussieht wie ein Junge, wie mein Sohn.« Ava schauderte. »Und dann hat man mir den Schlüssel zu der Kiste in die Strickjackentasche gesteckt, damit ich das passende Schloss dazu suche. Was für ein Hohn!« Langsam wich ihre Verzweiflung loderndem Zorn. Wer um alles auf der Welt tat so etwas?
Wer?
»Offenbar hasst mich irgendwer so sehr, dass er mir den schlimmsten Schmerz zufügen möchte, den man einer Mutter antun kann.«
»Es ist allerdings gut möglich, dass Sie die Kiste nie gefunden hätten.« Dern wischte sich mit dem Ärmel den Regen aus dem Gesicht.
»Ich denke, derjenige, der
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