T Tödliche Spur: Thriller (German Edition)
die ihm zur Wiederwahl verhalfen. Biggs Hauptverdienst war es, die richtigen Hände zu schütteln und die richtigen Leute einzustellen. Darin hatte er einiges Geschick bewiesen. Und er hatte Glück gehabt: Abgesehen von Lester Reece’ Ausbruch aus Sea Cliff, hatte es in der Gegend bislang keine größeren Vorkommnisse gegeben.
Jetzt sah es leider so aus, als sollte sich das ändern.
»Noch irgendwas Neues im Mordfall Reynolds?«, erkundigte sich Snyder.
»Seit wir uns das letzte Mal gesehen haben? Kaum.«
Snyder fühlte, wie die Uhr tickte. Sie warteten auf den Obduktionsbericht, auf mehrere Rückrufe von Freunden und Familienmitgliedern und auf die Auskunft der Versicherung. Es sah so aus, als sei Cheryl gestorben, ohne ein Testament zu hinterlassen, und die Summe ihrer Lebensversicherung deckte gerade mal die Kosten für ihre Beerdigung. Abgesehen von dem Haus, auf dem eine beträchtliche Hypothek lag, hatte sie nicht viel besessen. Ihre Ersparnisse beliefen sich auf weniger als fünftausend Dollar.
Brachte man dafür jemanden um? Vielleicht … Er hatte schon Opfer gesehen, die für weniger ihr Leben lassen mussten. Snyder beendete das Gespräch und widmete sich endlich seiner Pizza. Der Käse zog lange, klebrige Fäden. Hm, das war genau das Richtige für seinen Cholesterinspiegel.
Aber auch heute Abend war ihm das egal.
Ava hörte wieder die Stimmen. Gedämpft. Draußen auf dem Flur.
Blinzelnd öffnete sie die Augen und schlüpfte aus dem Bett. Ihr Kopf hämmerte, als hätte sie zu viel Wein getrunken, obwohl sie keinen Tropfen angerührt hatte. Wie lange hatte sie geschlafen? Draußen war es dunkel. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass es kurz vor Mitternacht war.
Benommen tappte sie barfuß über den Fußboden, taumelte und hielt sich am Bettpfosten fest, bis der Schwindel nachließ. Sie wusste, dass sie geträumt hatte, doch die Bilder verbargen sich in den dunklen Ecken ihrer Erinnerung und ließen sich nicht greifen.
Sie war allein. Ihre jüngste Auseinandersetzung mit Wyatt hatte sie darin bestätigt, nicht länger mit ihm das Bett teilen zu wollen. Schluss mit der Heuchelei. Ihre Ehe war vorbei, und zwar nicht erst seit dem Verschwinden ihres Kindes.
Im Nachthemd schlich sie auf Zehenspitzen zur Tür. Sie wagte kaum zu atmen, um nur ja alles zu verstehen, was durch die geschlossene Tür zu ihr drang. Wer immer sich da unterhalten mochte, musste direkt davorstehen.
Heute Nacht hatte kein Kind geweint.
Niemand hatte schluchzend nach seiner Mama gerufen.
Dafür hörte sie jetzt die Stimmen von Erwachsenen, und sie war sich fast sicher, dass eine davon Wyatt gehörte. Die andere Stimme war die einer Frau, doch irgendetwas an dem Gespräch kam Ava merkwürdig vor. Die Stimmen wirkten nicht aufeinander abgestimmt, sodass man fast den Eindruck hatte, zwei verschiedene Unterhaltungen zu verfolgen.
Ava legte das Ohr an die dicke Eichentür. Nichts – außer dem dumpfen Schlagen der Standuhr im Foyer, das zur Galerie heraufhallte. Mitternacht.
Bong!
»Es wird nicht mehr lange dauern«, sagte eine Frau.
Bong!
Die Heizungsrohre!
Was hatte Jewel-Anne noch gleich gesagt?
»Ich weiß noch, wie wir hier als Kinder gespielt haben. Wir haben uns durch die Öffnungen in den Schächten unterhalten und versucht, uns gegenseitig ›auszuspionieren‹.«
Die Stimmen mussten aus Wyatts Arbeitszimmer kommen!
Bong!
Ava huschte durchs Zimmer, kletterte aufs Bett, stellte sich auf die Zehenspitzen und reckte sich hoch zum Heizungsschacht. In manchen Zimmern – überwiegend in den häufig benutzten – waren die Rohre verkleidet, in anderen lagen sie frei und zogen sich, meist passend zur Wand gestrichen, unter der Decke entlang wie hier oder reichten von oben zum Fußboden hinunter. Ava drückte das Ohr an eine der Öffnungen.
»… seltsam, ich habe keine Ahnung, was ich davon halten soll.« Wieder die Frau? Nein, eine
andere
Frau!
Bong!
»… ich weiß noch, wie sie früher war.« Eine weitere Frauenstimme.
Bong!
»Ich wünschte, ich könnte helfen, aber es ist hoffnungslos.« Eine
dritte
Frau? Dr. McPherson? Um diese Uhrzeit?
Bong!
»Sie haben Ihr Bestes gegeben.« Eine Männerstimme. Wyatt. Wer sonst? Er sprach offenbar mit der Psychiaterin.
»… nur eine Frage der Zeit …« Die zweite Frauenstimme, die, die sie nicht zuordnen konnte.
Bong!
Bei jedem Schlag der alten Standuhr, die einst ihrem Urgroßvater gehört hatte, machte Avas Herz einen Satz. Das dumpfe Dröhnen
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