T Tödliche Spur: Thriller (German Edition)
und von dort aus die Feuerleiter emporklettern können, doch das Risiko wollte sie nicht eingehen, zumal Jewel-Annes Apartment ganz in der Nähe lag. Nein, es war eindeutig besser, von oben zu kommen.
Der Wind heulte durch die Bucht. Ava erreichte die Leiter und schwang ein Bein über die Brüstung. Regen prasselte auf sie herab, und ihr war klar, dass man sie, sollte sie hier gesehen werden, auf direktem Weg in die Psychiatrie schicken würde.
Die Sprossen waren rutschig. Ava versuchte, mit ihren nackten Füßen Halt zu finden, so gut sie nur konnte, nahm den Schraubenzieher zwischen die Lippen und stieg langsam hinunter. In einer Hand hielt sie die Taschenlampe, mit der anderen klammerte sie sich an die Leiter.
Ihr Herz hämmerte laut vor Angst. Sie schaute nicht in die Tiefe, sondern konzentrierte sich auf ihren Abstieg, Sprosse für Sprosse. Die Feuerleiter war alles andere als stabil und ächzte unter ihrem Gewicht.
Was, wenn du in den Dienstbotenquartieren nichts findest außer alten Möbeln unter ausgedienten Laken und vielleicht ein paar Spinnen?
Ava blendete die nagenden Zweifel aus und schnappte erschrocken nach Luft, als sie mit einem Fuß abrutschte. Fast hätte sie Schraubenzieher und Taschenlampe verloren, doch sie fing sich gerade noch rechtzeitig und erreichte unversehrt eines der Fenster im zweiten Stock.
Vorsichtig kletterte sie von der Leiter auf den ausladenden Sims.
Du bist tatsächlich verrückt!,
rief ihr die Stimme der Vernunft warnend zu, trotzdem gab sie ihr waghalsiges Unterfangen nicht auf. Diesmal die Taschenlampe zwischen den Zähnen, kauerte sie auf dem Sims und versuchte, das alte Fenster aufzubekommen. Verblüfft stellte sie fest, dass es sich wider Erwarten leicht öffnen ließ, sie brauchte nicht einmal den Schraubenzieher dazu.
Endlich! Geschafft! Vorsichtig schob sie es hoch, dann öffnete sie behutsam die Schnappjalousie und schlüpfte ins Zimmer. Der Raum roch muffig, als sei seit Jahren niemand mehr darin gewesen.
Was, wenn sie sich täuschte und der Dachboden tatsächlich nur noch als Lagerfläche benutzt wurde? Mit sinkendem Mut schloss Ava Fenster und Rollo hinter sich, dann durchsuchte sie gewissenhaft Zimmer für Zimmer. Das war ja der reinste Irrgarten hier oben! Die alten Möbel waren sorgfältig abgedeckt und dann vergessen worden. Ava stieß auf ein winziges Badezimmer, nicht größer als ein Kämmerlein, mit einer schmutzigen Toilette und einem Waschbecken darin. Es gab auch eine kleine Küche mit Schränken und einem rissigen Laminatboden, die aussah, als stammte sie aus den 1940 er Jahren.
»Hier oben gibt es höchstens noch Gespenster«, murmelte sie und richtete den Strahl ihrer Taschenlampe auf die Tür mit dem neuen Schloss, die zur Dienstbotentreppe führte. Was zum Teufel hatte das zu bedeuten?
»Mommy … Mommy!«,
hallte plötzlich Noahs Stimme von den Dachsparren wider. Ava unterdrückte einen Schrei und taumelte rückwärts gegen einen alten Plattenspieler. Vor Schreck ließ sie den Schraubenzieher fallen. Nachdem sie sich halbwegs gefasst hatte, hob sie ihn mit den nackten Zehen auf.
Ihr Sohn war
nicht
hier oben. Das war unmöglich!
Trotzdem klang das angsterfüllte Schluchzen weiter durch die Räume.
Was war das? Und vor allem: Woher kam es?
Ava verdrängte ihre Furcht und tappte erneut durch die vielen kleinen Zimmer. Hoffentlich hörte niemand im ersten Stock ihre Schritte!
Alles schien unberührt, so, als habe jemand vor langer Zeit die Tür zu diesem Stockwerk hinter sich abgeschlossen und sei nie mehr zurückgekehrt.
Jetzt war es wieder still.
Kein Weinen, kein Schluchzen.
Nur das Heulen des Windes.
In den Zimmern war nichts außer den abgedeckten Möbeln. Zaghaft zunächst, doch bald schon beherzter, griff Ava nach den Laken und zog sie herunter. Zum Vorschein kamen uralte Küchenstühle, eine ausgediente Chaiselongue von ihrer Großmutter, Fernsehgeräte aus den Achtzigern, Fotos längst verstorbener Angehöriger sowie ein Polstersessel. Darin hatte ihr Vater am liebsten gesessen. Ein Laken nach dem anderen wurde zur Seite gerissen, dann erstarrte sie plötzlich.
War das ein Bootsmotor gewesen oder nur der Wind?
Wyatt!
Sie musste schneller sein!
Musste dem Weinen auf den Grund gehen!
Die
Mommy
-Rufe waren in Noahs Kinderzimmer im ersten Stock sowie in Wyatts Büro im Erdgeschoss zu hören gewesen, also mussten sie über die Heizungsrohre übertragen werden. Wenn dem tatsächlich so war, war es nur schlüssig, dass sie aus
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