T Tödliche Spur: Thriller (German Edition)
erheben, ihr drohen wollte.
»Wer ist sie, Wyatt?«, hatte sie ihn noch einmal gefragt, nicht gewillt, ihn so leicht davonkommen zu lassen.
»Was zum Teufel schert dich das?« Er war aus dem Wohnzimmer ins Foyer gestürmt, hatte sich Mantel und Aktenkoffer geschnappt und das Haus wutentbrannt verlassen. Die Fenster klirrten, als er die Tür hinter sich zuschlug. Durch die Scheibe sah sie, wie er mit flatternden Mantelschößen den Hang hinunter zum Bootshaus marschierte.
»Scheißkerl«, murmelte sie, dann ermahnte sie sich, dass er immerhin der Vater ihres einzigen Kindes war. Noah, so schien es, würde in einer zerrütteten Familie groß werden, obwohl sie genau das hatte vermeiden wollen.
Wyatt war bereits aus ihrem gemeinsamen Schlafzimmer ausgezogen, und nach dieser Auseinandersetzung wusste sie, dass es dabei bleiben würde. So wie es aussah, würde er in den kommenden Monaten mehr Zeit auf dem Festland verbringen als auf der Insel.
Er hatte ihr geschworen, dass seine Affäre beendet war. »Das ist längst Geschichte, vergiss es«, behauptete er einen guten Monat später. Ava glaubte ihm nicht, doch ein Freund, der mit Wyatt in der Kanzlei arbeitete, bestätigte seine Version. »Ich hatte überlegt, dir davon zu erzählen«, gab Norm, ein Juniorpartner, am Telefon zu, »doch ich steckte gewissermaßen in der Klemme. Um die Wahrheit zu sagen, sah ich keinen Sinn darin, dich einzuweihen. Es hätte doch nur allen Beteiligten wehgetan.«
»Dann hast du also lieber zugesehen, wie er mich betrügt?«, warf Ava ihm vor.
»Ich habe dich nicht informiert, weil ich dich schützen wollte, Ava. Es ging mir dabei nicht um Beth, aber im Grunde ist das doch nun egal. Es ist vorbei.«
»Nein, das ist ganz und gar nicht egal!«, widersprach sie ärgerlich. Zornige Tränen strömten über ihre Wangen. Hin und her gerissen zwischen Wut und Schmerz, war ihr doch klar, dass sie mehr herausfinden musste, so lange graben musste, bis auch das letzte schmutzige Detail ans Tageslicht kam und ihre Neugier befriedigt wäre. Erst dann würde sie wieder nach vorn blicken können.
Norm hatte aus Versehen den Vornamen der Frau verraten: Beth. Das war auf jeden Fall ein Anfang. Ava engagierte umgehend einen Privatdetektiv, der binnen drei Tagen bestätigte, eine Bethany A. Wells sei vor weniger als zwei Monaten von Seattle nach Boston gezogen. Die Scheidung von ihrem Ehemann lief. Laut Privatdetektiv hatte Wyatt in den vergangenen Wochen keinen Kontakt zu ihr gehabt. Die Affäre war mit ihrem Umzug beendet gewesen.
Doch im Grunde zählte das nicht; es genügte nicht, einfach Schluss zu machen, fand Ava, außerdem kam das Aus ihrer Ansicht nach reichlich spät. Ehebruch war Ehebruch. Sie hatte die Scheidung eingereicht, und dann … und dann … war ihnen Noah genommen worden. Alles andere, einschließlich Wyatts Betrug, war ihr nebensächlich erschienen; ihr Schmerz war so groß gewesen, dass sie den Bezug zur Realität verloren hatte.
Nun kehrte dasselbe Gefühl absoluter Verlassenheit zurück, das sie damals empfunden hatte. Wie hatte ihre Mutter stets gesagt? »Einmal ein Betrüger, immer ein Betrüger.«
Obwohl er bestritt, eine Affäre zu haben, wusste sie doch tief im Herzen, dass es eine weitere Frau gab, in die er sich »ein wenig verliebt« hatte. Doch diesmal würde sie das nicht in Verzweiflung stürzen. Diesmal verspürte sie Erleichterung. Evelyn McPherson konnte ihn haben.
Ava ließ ihr Handy in die Handtasche fallen und schaute wieder aus dem Fenster. Sie sah die Lichter eines Boots näher kommen und spürte, wie sich ihr Magen zusammenzog. Rasch nahm sie einen weiteren Schluck Kürbis-Latte. Irgendwie würde sie das Abendessen überstehen, redete sie sich ein und verstaute auch die beiden Schlüsselbunde wieder in ihrer Tasche. Plötzlich hielt sie inne. Einer der Schlüssel hatte ihre Aufmerksamkeit erweckt. Er unterschied sich von den anderen, war kein Haus- oder Zimmerschlüssel, sondern ein Autoschlüssel. Nachdenklich drehte sie ihn hin und her und stellte fest, dass er zu einem Mercedes gehörte.
Ihr Vater hatte stets Ford gefahren, ihre Mutter verschiedene amerikanische Marken, ihre Großmutter nur Cadillac. Das einzige Familienmitglied, das einen Mercedes besessen hatte, war Onkel Crispin gewesen. Dann war das hier
sein
Schlüsselbund! Hm. Den Mercedes gab es schon lange nicht mehr; Crispin hatte ihn verkauft, nachdem er seinen Job in der Klinik verloren hatte …
Ach du lieber Himmel!
Die anderen
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