T Tödliche Spur: Thriller (German Edition)
einer Kombüse und Kojen, obwohl er so gut wie nie für andere Strecken als die von der Insel zum Festland und zurück benutzt wurde.
»Soll ich auf dich warten?«, fragte Butch, nachdem sie ihm zwanzig Dollar zugesteckt hatte, die er zunächst ablehnen wollte und schließlich doch widerstrebend einsteckte.
»Nein. Ich fahre wahrscheinlich mit Wyatt zurück.«
Hoffentlich kauft Butch mir das ab.
»Sicher?«
»Absolut.«
Butch zog zweifelnd eine seiner buschigen Augenbrauen in die Höhe, doch er nickte.
Ava stieg die grauen Stufen hinauf, die vom Hafen in die Stadt führten. Oben angekommen, blieb sie stehen und blickte aufs Meer hinaus. Sie entdeckte die
Holy Terror,
die sich vom Festland Richtung Insel entfernte, hob eine Hand und winkte, dann ließ sie die Hand wieder fallen. Butch hatte sich nicht einmal umgeblickt.
Die Fähre zur Insel ging um vier, sie musste sich also beeilen, wenn sie alles schaffen wollte, was sie sich vorgenommen hatte.
Als Erstes würde sie bei Tanya vorbeischauen, ihrer Highschool-Freundin, die mehrere Jahre mit Avas Cousin Trent gegangen war – Ians Zwillingsbruder. Ihre Beziehung war auseinandergegangen, als sie Russell Denton kennenlernte, einen knallharten Cowboy, der weder treu noch nüchtern bleiben konnte und an keinem Pokertisch vorbeikam.
Ihre Ehe war ziemlich schnell zerbröckelt, doch erst, nachdem Tanya schwanger geworden war … zweimal. Tanya und Russ hatten eine dieser launenhaften, zerstörerischen Beziehungen geführt, in denen die Beteiligten einfach nicht voneinander loskamen. Erst vor weniger als einem Jahr hatten sie endlich die Scheidungspapiere unterschrieben. Jetzt war Tanya die alleinerziehende Mutter des siebenjährigen Brent und seiner großen Schwester Bella, außerdem Besitzerin des Shear Madness, eines der beiden Schönheitssalons in Anchorville. Mit ihrem Riecher fürs Geschäft und ihren offenen Ohren für Klatsch und Tratsch ging es ihr gut, zumindest behauptete sie das Ava gegenüber. Tanya hatte nach der Scheidung das Haus zugesprochen bekommen, einen älteren Bungalow, der in einer der steilen Seitenstraßen des Städtchens stand, außerdem den kleinen Salon. Sie war einer der wenigen Menschen, denen Ava voll und ganz vertraute.
Auch über dem Festland wurden die Wolken nun immer dichter. Ava beeilte sich, zu Tanyas Schönheitssalon zu kommen, der gute fünf Blocks vom Hafen entfernt zwischen einem Feinkostladen und der besten Bäckerei des ganzen Countys lag. Ihr Magen knurrte, als sie an der offenen Tür vorbeikam und den Duft nach warmem Brot, Zimt und frisch gebrühtem Kaffee roch.
Die Tür zu Tanyas Salon war geschlossen, die Lichter gedimmt. Im Fenster hing ein Schild mit der Nachricht, dass das Shear Madness am nächsten Morgen wieder geöffnet wäre.
»Na großartig«, murmelte Ava enttäuscht. Doch was hatte sie erwartet? Schließlich hätte sie vorher anrufen können! Sie blickte ins dunkle Saloninnere. Die Wände waren zartrosa gestrichen, die Innendekoration eine Hommage an die Sechziger mit den gerahmten Schwarzweißfotografien weiblicher Ikonen jenes Jahrzehnts. Alle, angefangen bei Marilyn Monroe, Jackie Kennedy über Brigitte Bardot und Twiggy bis hin zu Audrey Hepburn, wachten über die Kabinen, die jetzt leer waren, die schwarzen Kunstlederliegen unbenutzt.
Ava kaufte sich einen Kaffee zum Mitnehmen in der Bäckerei und widerstand dem Drang, sich die letzte Zimtrolle aus der Auslage zu genehmigen. Dann versuchte sie, Tanya anzurufen, doch es meldete sich nur der Anrufbeantworter. Eine leblose Computerstimme bat sie, eine Nachricht zu hinterlassen.
Was sie nicht tat.
Stattdessen trank sie mit kleinen Schlucken ihren Kaffee und spazierte zu der Ecke, von der aus man auf die Bucht und Church Island blicken konnte. Die Nebelbank rollte mehr und mehr auf die Insel zu, doch noch hatte sie sie nicht erreicht. Sie konnte sogar Neptune’s Gate erkennen und an der südlichsten Spitze das dunkle Dach von Sea Cliff. Die Anstalt war vor sechs Jahren endgültig geschlossen worden, nachdem der letzte der geisteskranken Schwerverbrecher, die man dort untergebracht hatte, entflohen war. Lester Reece wurde verdächtigt, in der Gegend mehrere Morde begangen zu haben, außerdem hatte man ihn des Mordes an seiner Frau und ihrer besten Freundin überführt, die einem seiner zahlreichen Wutanfälle zum Opfer gefallen waren. Seine Verteidiger hatten angebracht, dass er an paranoider Schizophrenie litt, was dazu führte, dass Reece nicht in
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