Tablettenfee
angebissen hatte. Sie stand auf und ging wortlos ins Wohnzimmer. Zurück kam sie mit Eduard in seinem Käfig. »Schau mal. Schnieefff!«
Mitten im Käfig lag Eduard. Gestern hatte Udo noch befürchtet, das Eddi womöglich gar aufplatzen würde. Heute war er da – der Schrick. Eine klaffende, leicht blutige Wunde war auf seinem Rücken zu sehen. Beinahe reglos lag Eddi in der Mitte seines Käfigs. Nur hin und wieder bewegte er einen Teil seines Körpers.
»Der rührt sich kaum mehr.« Sie schluchzte.
»Schatzele!? Was soll ich nur machen?«
Hmm. Udo überlegte, zumindest versuchte er es. Aber in solchen Fragen war sein Gehirn eher hilf- und ratlos. Bisher hatte Udo eher versucht, eine Maus zu erschlagen oder in Fallen zu locken, wenn er eine sah. Therapeutische Hinweise für dieses Getier überforderten ihn nun schon ein wenig. Jetzt einen Ratschlag zu geben, war seiner Meinung nach schon recht blasphemisch.
»Ich glaub, man sollte ihn erlösen.« Udo sprach die harte Wahrheit aus.
Bianca schluchzte noch lauter auf und sog einen Schwall Luft in sich hinein. Dann seufzte sie stoßartig.
»Ja, das glaub ich mittlerweile auch. Nur wie?«
Gute Frage. Schon beim Ausführen seiner Antwort hatte er sich Sorgen um genau diese Gegenfrage gemacht.
»Wir werden einen Weg finden. Aber stell ihn erst einmal wieder raus und lass uns fertig frühstücken.«
Traurig trottete Bianca nach draußen und stellte den Käfig wieder auf den Boden. Dann ging sie zurück in die Küche und drehte den CD-Player lauter. Immer lauter und lauter.
Udo sah sie fragend an.
›… just a sweet pain of watching your back as you walk as I‘m watching you walk away -– and now you‘re gone, it‘s like an echo in my head …‹
Alles klar, es war der Text. Bianca stand neben dem Kühlschrank, die Hand immer noch beim Lautstärkeregler des CD-Players. Mit Tränen in den Augen sang sie so laut es ihr nur gelang mit. Tiefe Emotionen schienen in ihr zu wogen. Das Lied schien ihr Kraft zu geben.
Kraft, die sie im Moment dringend brauchte. Auch starke Menschen haben ihre schwachen Momente. Udo kannte das Lied und auch Bianca hatte ihm in den vergangenen Tagen schon mal erzählt, dass sie ein Riesenfan dieser zierlichen Robyn aus Schweden war.
Udo kannte ein paar ihrer Videos von MTV, als dieses noch im Free-TV zu empfangen war. Anscheinend hatte Bianca auch CDs von ihr.
‹for the first time, there is no mercy in your eyes -– and the cold wind is hitting my face and you‘re gone and you‘re walking away ...‹
Bianca sang jede Zeile laut mit.
Wow. Wie treffend. Anscheinend gab es auch in Stockholm Tragödien mit Mäusen. Und außerdem schien der Song zu wirken. Bianca ging es wieder ein wenig besser. Sie schien ihre gewohnte Stärke wiederzufinden. Sie hatte sich eben geschnäuzt und die Tränen weggewischt. Nachdem sie die Musik wieder auf Zimmerlautstärke gestellt hatte, setzte Bianca sich wieder.
Udo war mit der Situation an sich schon voll überfordert.
Sollte er jetzt was sagen? Sollte er schweigen?
Nach kurzem Zögern entschied er sich für Ersteres.
Im Normalfall also das Falsche. Er legte ihr seine Hand auf die Schulter und sprach ihr Mut zu. Sie dankte ihm mit einem Kuss auf seine Hand.
›Baby, we can make it alright‹, sang Robyn im Hintergrund, die mittlerweile bei ihrem nächsten Lied angelangt war. Zum zweiten Mal sehr treffend. Diese Robyn schien die gesamte CD für Momente wie diese geschrieben zu haben.
Nachdem die beiden den restlichen Vormittag gekuschelt hatten und sich über ihr bisheriges Leben ausgetauscht hatten, war es mittlerweile
früher Nachmittag geworden. Draußen regnete es. Perfekter Tag zum Drinbleiben. Udo war froh, keine Entschuldigung für sich selbst suchen zu müssen, warum er nicht nach draußen ging.
Bianca war wieder zum Laptop gegangen um dem Plan rund um die Überführung Leitners weiter Leben einzuhauchen. Der Plan funktionierte – Ihre elektronische Pinnwand quoll schon fast über.
Udo saß am Boden. Er hatte sich dazu entschlossen die Konsole wieder aus dem Kasten zu holen. Missmutig hatte er alle Verbindungen neu hergestellt. Naja, die halben Kabel hatte Bianca eh da gelassen und nur hinter den Fernseher gestopft. War also eh doch gar nicht so schlimm wie erwartet gewesen.
Batman flog wieder über den Bildschirm. ›Arkham Asylum‹ hatte er sich unbedingt kaufen müssen. Also musste er es auch spielen. Er war zwar anfangs skeptisch gewesen, aber nachdem Bianca ihm gesagt
Weitere Kostenlose Bücher