Tabu: Roman (German Edition)
großen Polaroids an den Wänden wieder sanft zu leuchten und das Programm startete erneut.
Am Nachmittag vor der Eröffnung war Eschburg zu einer Talkshow eingeladen, der Galerist in Rom sagte, sie bräuchten die Werbung. Vor dem Auftritt rauchte Eschburg auf einem Balkon eine Zigarette. Im Hinterhof standen aufgerissene Pappkisten, leere Blumenkübel und ein Stuhl mit gebrochener Lehne.
Im Fernsehstudio war es heiß. Der Moderator redete schnell. Ein Animateur gab Zeichen, wenn die Zuschauer klatschen sollten. Plötzlich sprang der Moderator auf, er riss die Arme hoch und schrie etwas ins Publikum. Die Zuschauer lachten. Eschburgs Galerist hatte gesagt, der Moderator habe einen Fernsehpreis für seine »menschliche und mitreißende« Talkshow bekommen.
Eschburg sah zu Sofia. Sie saß in der ersten Reihe der Zuschauer. Er konnte ihr Gesicht kaum erkennen.
Dann wurde es still im Studio, die Zuschauer starrten Eschburg an, er schien etwas verpasst zu haben. Der Moderator saß jetzt wieder neben ihm, er trug ein gelb-weißes Hemd, an der Brusttasche waren die Streifen um einen halben Zentimeter versetzt. Eschburg zwang sich, nicht hinzusehen. Auf der randlosen Brille des Moderators lag ein Staubkorn, es brach das Licht der Scheinwerfer.
Eschburg dachte an den Zettel, den er gestern Nacht im Dunkeln geschrieben hatte. Er wusste nicht mehr, was er geschrieben hatte, aber er glaubte jetzt, es sei wichtig gewesen.
Immer noch warteten alle. Eschburg lächelte, weil er nicht wusste, was er sonst tun sollte. Er wollte, dass es aufhörte.
Der Moderator sprach endlich weiter, klatschte wieder in die Hände und wandte sich wieder den Kameras zu. Auf einem Bildschirm sah Eschburg jetzt ein Gemälde. Er verstand nicht, was das Bild mit seiner Installation zu tun hatte. Er hörte die Dolmetscherin, sie klang metallisch in dem winzigen Hörer in seinem Ohr: »Wann ist eine Installation fertig? Wann ist sie fertig?« Die Dolmetscherin wiederholte die Frage immer wieder.
»Wenn sie stimmt«, sagte Eschburg endlich.
Der Moderator schrie wieder etwas in die Kameras, die Dolmetscherin übersetzte es nicht. Das Publikum applaudierte.
Irgendwann war es zu Ende, die großen Scheinwerfer wurden abgeschaltet. Ein Tontechniker zog das Mikrofon von Eschburgs Jackett, die Haare auf seinem Handrücken streiften Eschburgs Kinn. Der Moderator schrieb Autogramme für die Zuschauer, er drehte sich um, schüttelte Eschburg die Hand und klopfte ihm auf die Schulter. Sofia kam auf die Bühne.
Im Hotel ging Eschburg sofort unter die Dusche. Das Wasser schmeckte nach Chlor. Nur mit einem Handtuch um die Hüften trat er auf den schmalen Balkon. Unten auf dem Platz lachte ein dicker Mann, er trug ein buntes Sweatshirt mit einer Stickerei über den ganzen Rücken: »International Golf Team«. Er aß etwas aus einer Tüte. Seine Frau hatte keinen Hals.
Eschburg ging zurück ins Zimmer und zog sich an. In einer Tasche seines Jacketts fand er den Zettel wieder, den er letzte Nacht geschrieben hatte. Er faltete ihn auseinander. Der Zettel war leer.
Am nächsten Abend wurde die Ausstellung eröffnet. Die Modelle standen unter ihren Fotos. Eschburg beantwortete Fragen der Journalisten, er sprach mit Gästen, Sammlern, dem Botschafter und einem Staatssekretär für Kultur.
Als er wieder alleine war, ging er auf die Terrasse, um zu rauchen. Jemand gab ihm von der Seite Feuer, er sah nur die Hand. Eschburg drehte sich um.
Die Oberlippe der jungen Frau war wie ein vollkommenes »M« geformt. Sie trug ein Kleid aus Leinen. Sie sagte, sie sei nur nach Rom gekommen, um seine Installation zu sehen. Ihre Stimme klang freundlich. Ihre Augen schienen aus verschiedenen Schichten zu bestehen, Grün-, Grau- und Blautöne überlagerten sich. Eschburg war es später unmöglich, sich an ihre wirkliche Farbe zu erinnern. Sie lächelte ihn an.
Sie hielt ihm die Hand hin, ohne ihren Namen zu nennen. Für einen Moment erweiterten sich ihre Pupillen, sie reflektierten das Licht aus dem Saal und Eschburg sah sich selbst in ihnen. Er riss sich zusammen.
»Sebastian Eschburg«, sagte er. Sein Gesicht war weiß.
Sie lächelte weiter, aber sie ließ seine Hand nicht los. »Ich bewundere Ihre Arbeit«, sagte sie, ihr Gesicht kam näher, sie sprach leiser. »Ich möchte unbedingt für Sie arbeiten.«
»Ich habe nie Assistenten«, sagte er. Das Sprechen strengte ihn an. »Aber gut, rufen Sie mich in Berlin an.«
Die junge Frau nickte. Endlich gab sie seine Hand frei.
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