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Tabu: Roman (German Edition)

Tabu: Roman (German Edition)

Titel: Tabu: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ferdinand von Schirach
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das. Die Mädchen werden Freiern zur Verfügung gestellt, oft sind es zehn, zwanzig Männer gleichzeitig, Massenvergewaltigungen in leer stehenden Fabrikhallen. Die Polizei kommt immer zu spät, bis dahin sind sie schon in die nächste Stadt gezogen. Es gibt eine Szene dafür, die Freier bezahlen viel Geld, sie sind überall, in Frankreich, Italien, England, Deutschland. Sie sind schnell, diese Männer, es gibt für sie keine Grenzen.«
    Senja Finks machte eine Pause und verzog das Gesicht. Ihr Hemd färbte sich über dem Bauch dunkel, die Wunde war aufgegangen. Sie atmete flach.
    »Wenn ein Mädchen verbraucht ist«, sagte Senja Finks, »schneiden sie ihm die Hände und den Kopf ab und werfen es auf den Müll. Oder sie wird vorher einem Freier verkauft, der sie zu Tode peitscht. Die Männer nehmen auch das noch auf Video auf und verkaufen es später.«
    »So etwas gibt es nur im Film«, sagte Eschburg.
    »Nein«, sagte sie, »so etwas gibt es in keinem Film.«
    Beide schwiegen. Eschburg schloss die Augen, sein Kopf schmerzte.
    »Ich frage Sie jetzt«, sagte Senja Finks, »was darf so ein Mädchen tun, wenn sie davongekommen ist? Wenn sie den Männern viel Geld gestohlen hat, wenn sie gelernt hat, zu überleben und zu töten?«
    Sie stand auf und ging die zwei Schritte bis zu Eschburgs Bett. Sie roch nach Zigaretten und Blut. Sie beugte sich vor. Ihre Augen waren hellgrün, ihre Pupillen sahen durch die Brille aus wie senkrechte Schlitze.
    »Was ist Schuld?«, fragte sie. Ihre Stimme klang fiebrig.
    Aus der Nähe wirkt der Tod nicht mehr bedrohlich, dachte Eschburg.
    »Ich weiß es nicht«, sagte er.

24
    Weil Eschburgs Fotos in Italien das größte Presseecho hatten, wollte die Galerie seine neue Installation zuerst in Rom zeigen. Der Japaner, der »Majas Männer« gekauft hatte, stellte die Bilder für die Ausstellung zur Verfügung. In Eschburgs Atelier in der Linienstraße wurden die Polaroidplatten, Bildschirme, Kabel und Computer in Holzkisten verpackt und von einer Spedition abgeholt.
    Eine Woche später flog Eschburg nach Rom. Auf dem Rollfeld stieg er in einen Bus. Er sah Hunderte Stare um den Tower kreisen. Der Taxifahrer erklärte später, Rom setze Falken ein, um die Vögel aus der Stadt zu vertreiben, aber es nutze nichts.
    Die Galerie hatte die Räume im ersten Stock eines restaurierten Palastes aus dem 17.   Jahrhundert gemietet. In den nächsten Tagen bereitete Eschburg dort die Ausstellung vor. An die langen Wände des großen Saales hing er auf jede Seite 18   Fotos. Die Plexiglasplatten waren von hinten beleuchtet, die Körper der Frauen hatten einen weichen Sepiaton. An der Stirnwand stand eine Videoleinwand. Die Installation war so programmiert, dass ein Beamer zunächst eines der Polaroids auf die Leinwand projizierte. Nach einer Viertelsekunde legte der Computer ein zweites Polaroid auf das erste und berechnete aus beiden ein neues Bild. Auf dieses Bild wurde dann das nächste Foto und im Viertelsekundentakt die weiteren Fotos gelegt, bis aus allen ein neues Bild entstand. Die von Eschburg fotografierten Frauen verschmolzen so zu einer neuen Frau. Ihr Gesicht und ihr Körper waren der Durchschnitt aller Modelle, ihre Mitte. Unregelmäßigkeiten, Falten und Hautunreinheiten verschwanden. Die künstliche Frau wirkte jünger als die Fotomodelle, ihr Gesicht und ihr Körper waren völlig symmetrisch. Und tatsächlich war sie schön.
    Dann schalteten sich die Hintergrundbeleuchtungen der Plexiglasplatten an den Wänden nacheinander ab, während die Haut der künstlichen Frau auf dem Bildschirm im gleichen Verhältnis heller wurde. Am Ende war die einzige Lichtquelle der Plasmabildschirm. Die künstliche Frau war nun fast weiß. In schneller Abfolge verwandelte sie sich in die Schönheiten der Kunstgeschichte: Tizians »Venus von Urbino«, Velázquez »Venus vor dem Spiegel«, Canovas »Paolina Borghese«, Manets »Olympia«, Picassos »Grande Dryade« und Stucks »Sünde«. Danach nahm sie wieder ihre ursprüngliche Gestalt an, legte ihre Hände auf den Rücken, kniete sich auf den Boden, öffnete ihren Mund und schrie. Sie wurde unscharf, löste sich auf, es blieb nur ein weißer Strich in der Mitte des sonst schwarzen Bildschirms. Nacheinander erschien über dem Strich in allen Weltsprachen der Satz:
    »Glatt liegt Seele und Meer«
    Der Strich zog sich zu einem Punkt zusammen, verblasste, der Bildschirm schaltete sich ab. Die Galerie blieb zehn Sekunden völlig dunkel. Danach begannen die

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