Tabu: Roman (German Edition)
sind?«, fragte Biegler.
»Weil Sie es verstehen«, sagte Eschburg.
Biegler sah auf die Uhr. Er setzte sich wieder. »Also gut, ich finde Ihren Fall interessant. Aber nicht wegen der angeblich verschwundenen Leiche und schon gar nicht, weil Sie ein bekannter Künstler sind. Mich interessiert nur die Foltersache an Ihrem Fall.«
»Soll ich es schildern?«
»Nein«, sagte Biegler. »Es gibt einen Vermerk der Staatsanwältin dazu. Nur auf ihn kommt es an. Ich fürchte, das Gericht würde Ihnen nicht glauben, wenn Sie etwas anderes erzählen. Vorerst reicht mir dieser Vermerk. Morgen habe ich in Ihrer Sache einen Termin mit der zuständigen Staatsanwältin und dem Vorsitzenden Richter. Übermorgen soll Ihre Haftprüfung sein. Wir werden also sehen. Ich lasse Ihnen heute noch die kopierten Akten bringen.«
Biegler verließ die Untersuchungshaftanstalt über die Kellertreppe zum Gericht. Nasses Laub lag auf der Straße, es klebte auf den Motorhauben der Autos, die großen Scheiben der Busse waren beschlagen.
Vielleicht hatte die Beamtin recht, dachte Biegler, und mit dem Mann stimmte etwas nicht. Eschburg konnte sich den Zeitungsartikel nicht erst im Gefängnis besorgt haben, er musste ihn schon vor seiner Inhaftierung gehabt haben. Plötzlich spürte Biegler wieder den Druck in seiner Brust, der Schmerz strahlte über die Schulter bis in den Unterkiefer aus. Er lehnte sich an die Mauer des Gerichts. Er wartete, bis der Druck schwächer wurde. Obwohl es schon kühl war, zog er seinen Mantel aus.
Er ging durch den kleinen Park zur Kirche. Er war seit Jahren nicht mehr in einer Kirche gewesen, seit der Taufe seines Sohnes. Die Tür stand offen. Er nahm seinen Hut ab und setzte sich in die letzte Reihe. Die Kirche war leer. Das Licht fiel schräg durch die gelben Fenster auf den Boden. In die Bank hatte jemand ein Monogramm geritzt. Biegler legte seine Stirn auf die Lehne vor ihm. Eine Bodenfliese hatte einen Sprung. Er wischte mit dem Schuh darüber. Eine Weile blieb er so sitzen und starrte auf die Fliese.
Vor der Kirche reparierte ein Junge auf dem Bürgersteig sein Fahrrad. Er hatte es auf Lenker und Sattel gestellt und drehte mit den Pedalen das Hinterrad. Es hatte eine Unwucht. Der Junge hatte schmutzige Hände und eine Schürfwunde am Ellbogen. Er versuchte das Rad mit seinen Unterarmen gerade zu biegen.
»Das wird nicht gehen«, sagte Biegler. Der Junge sah zu ihm hoch. Biegler zuckte mit den Schultern. »So ist das nun mal«, sagte Biegler. Der Junge versuchte es weiter. Biegler sah noch eine Zeit lang zu, dann zog er seine Brieftasche aus der Jacke und gab ihm zwanzig Euro. »Kauf dir eine neue Felge«, sagte er. Der Junge nahm das Geld und steckte es ein, ohne etwas zu sagen.
4
»Mandelbiskuit?« Der Vorsitzende Richter hielt eine Blechdose mit Keksen über den Schreibtisch. Er trug einen blauen Blazer mit goldenen Knöpfen, auf die ein Phantasiewappen graviert war. Er war glatt rasiert, rosa Haut, Doppelkinn, abstehende Ohren. Er trug eine kreisrunde Brille, die ihm zu groß war. Menschen, die ihn nicht kannten, hielten ihn für freundlich, vielleicht sogar für ein wenig dumm.
»Sind von meiner Frau«, sagte der Vorsitzende.
Landau schüttelte den Kopf, Biegler nahm einen. Er schmeckte wie Pappe. Biegler dachte daran, dass der Vorsitzende vor ein paar Jahren eine Affäre mit einer Referendarin gehabt hatte. Es gab das Gerücht, dass ihn das seine Berufung zum Richter am Bundesgerichtshof gekostet hatte.
»Vielen Dank«, sagte Biegler.
Der Vorsitzende beobachtete Biegler beim Kauen. »Sie ist eine großartige Bäckerin«, sagte er. »Noch einen?«
»Danke, gerne.« Er selbst isst sie nicht, dachte Biegler.
»Die Anklage wurde Ihnen zugestellt?«, fragte der Vorsitzende Biegler.
»Habe ich bekommen, ja.« Er hatte den Mund voll Mehl und Zucker.
»Dann können wir anfangen. Wenn Sie auf die Fristen verzichten, könnten wir am kommenden Montag mit der Hauptverhandlung beginnen. Ein anderer Prozess ist unerwartet ausgesetzt worden, wir haben also plötzlich Zeit für dieses Verfahren.«
»Das ist etwas überraschend«, sagte Biegler. »Ich bin noch nicht vorbereitet. Also wird keine Haftprüfung stattfinden?«
»Nein, wir würden gleich mit der Hauptverhandlung beginnen, wenn es Ihnen recht ist«, sagte der Vorsitzende.
»Heben Sie den Haftbefehl gegen Eschburg trotzdem jetzt schon auf?«, fragte Biegler.
»Warum sollten wir das tun?«, fragte der Vorsitzende.
»Weil sein Geständnis nicht
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