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Tabu: Thriller

Tabu: Thriller

Titel: Tabu: Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Egeland
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eigenes Leben retten kannst. Aber so einfach ist das nicht, stimmt’s? Du hast noch nie jemanden getötet. Du bist nicht sicher, ob du es schaffen würdest. Aber du weißt, dass du es schaffen kannst, wenn es sein muss. Wenn dein Leben davon abhängt. Gleichzeitig ängstigt dich der Gedanke, was passiert, wenn dein Versuch fehlschlägt. Drehe ich durch? Was werde ich mit dir anstellen, wenn du es versuchst?«
    Er sprach deutlich, wie ein geduldiger Lehrer, der einem begriffsstutzigen Schüler etwas zu erklären versucht. Kristin war klar, dass er kein Hellseher sein musste, um zu erraten, was in ihrem Kopf vor sich ging. Trotzdem war es erschreckend, die eigenen Gedanken aus seinem Mund zu hören.
    Er stand auf, schob den Revolver zurück unter den Pullover, holte das Brotmesser und setzte sich wieder. Er musterte sie ausgiebig. Dann hielt er ihr das Messer vor die Augen.
    »Weißt du, was ich damit alles machen könnte?« Er fuhr in kleinen Kreisen mit der Spitze vor ihrem Gesicht herum. »Ich könnte dich töten. Aber es gibt so unendlich viel mehr Möglichkeiten. Denk mal darüber nach, Kristin. Du lebst davon, dein Gesicht zu zeigen.« Er streckte den linken Arm vor und ritzte sich in die Handfläche. Ein dünner Streifen Blut wurde sichtbar. »Überleg mal, was ich alles mit dir anstellen könnte. Und was ich mit dir anstellen werde, falls du Anstalten machst, mich zu überwältigen. Denk darüber nach.«
    »Ja, ja!«
    » Denken , hab ich gesagt!«
    »Ich denke ja, ich denke!«
    »Kristin! Du denkst nicht! Halt die Klappe und denk nach!«
    Sie hielt die Klappe. Und dachte nach.

3
    »Ich will dich mit auf eine Reise nehmen«, sagte er.
    In ihrer Kindheit, als sie noch so jung war, als alles möglich war, stellte sie sich in ihren Tagträumen vor, auf einer Insel in der Südsee zu leben. In den Regalen des Großvaters standen Bildbände vom Stillen Ozean. Sie stellte sich ihre Insel mit einem Vulkan und einem von Palmen gesäumten weißen Strand vor und selbstredend mit einer Lagune. Auf der Insel wartete ein junger Mann auf sie; ein Königssohn mit goldenem Teint. Sie sah ihn am Korallenstrand stehen, während sie sich in ihrem Kanu näherte. »Azuria« hatte sie die Insel genannt. Sie hatte eine Karte von Azuria gezeichnet, die sie in der Schreibtischschublade versteckte, und sich einen königlichen Stammbaum und eine stürmische Geschichte ausgedacht. In der siebten Klasse, als der Geografie-Lehrer sie aufforderte, über ein fremdes Land zu schreiben, schrieb sie einen Aufsatz über Azuria. Sie hatte ein »sehr gut« dafür bekommen.
    Azurias Magie verblasste mit den Jahren, aber sie bewahrte sich ein Körnchen Korallensand in ihrem Herzen. Azuria wurde ihr geheimes Paradies. Und noch später im Leben dachte sie an Azuria als das Land, in das sie nach ihrem Tod kommen würde.
    Deshalb sah sie auch Azuria vor sich, als er sagte, sie wollten eine Reise machen. Sie stellte sich den Strand vor, den gezackten Vulkan und die Palmen, die sich im warmen Wind neigten.
    Dann verzog sich der kindliche Rausch, und sie überlegte, was er vorhatte. Eine Reise? Wohin? Und warum sollte sie ihn begleiten?
    »Wo wollen wir hin?«, fragte sie und gab sich Mühe, demütig zu klingen.
    Manche Fragen provozierten ihn mehr als andere, sie hatte keine Ahnung, warum.
    »Dort, wohin der Weg uns führt«, antwortete er kurz.
    Sie fragte nicht weiter.
    Ein wenig später erhob er sich und trat ans Fenster.
    »Sind das deine Schafe?« Er tippte mit dem Finger gegen die Scheibe.
    »Sie gehören zum Hof«, antwortete sie ausweichend.
    »Zu welchem Hof?«
    »Zu dem auch die Hütte hier gehört.«
    »Wo ist der Hof?«
    »Unten im Ort…«
    »Kennst du den Bauern?«
    »Ein wenig…«
    Sie hatte nicht mit seiner Schnelligkeit gerechnet. Im einen Augenblick stand er noch am Fenster, im nächsten packte er sie und schleuderte sie gegen die Wand. Sie war zu perplex, um zu schreien, aber ihr Gesicht verzog sich in einer Grimasse.
    »Lüg mich nicht an!«, fauchte er sie an. Sein Gesicht war so nah vor ihrem, dass sie seinen Mentholatem roch. »Lüg mich nie, nie wieder an. Nie wieder! Hast du verstanden? Nie wieder!«
    Sie schluchzte unkontrolliert.
    »Hast du mich verstanden?«
    Sie nickte hektisch.
    »Nie wieder!«
    Sie schüttelte den Kopf.
    Er ließ sie los. Sie blieb an die Wand gelehnt stehen und schnappte nach Luft.
    »So«, sagte er ruhig. »Wem gehören die Schafe?«
    »Meinem Bru-bru-bruhu-bruder«, schluchzte sie.
    »Halvor?«
    Sie

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