Tabu: Thriller
und kurvig. Eintönig. Nackte Felsbuckel und unendliche Kiefernwälder. Dunkle Seitentäler, Kahlschläge, verzauberte Waldstücke unter Felsvorsprüngen. Die Teerdecke ist grau und rissig, die gestreifte Mittellinie von der Zeit verblichen. Bei dem Anblick muss er an Thelma & Louise denken. Wie er diesen Film gehasst hat. Abgesehen vom Ende, vielleicht.
Er kurbelt die Seitenscheibe ein paar Zentimeter herunter. Wundert sich, dass ihnen keine anderen Fahrzeuge begegnen.
»Verraten Sie mir, wohin wir unterwegs sind?«, fragt sie mit gedämpfter Stimme.
Aggression wallt in ihm hoch und verebbt genauso schnell wieder. Wie ein Streichholz, das im Windzug aufflammt, denkt er. Die gleiche Frage hat sie schon einmal gestellt, und er hat ihr nicht darauf geantwortet. Sie hat offensichtlich Angst zu fragen, Angst, ihn zu nerven.
Er könnte ihr sagen, dass er sie mit zu sich nach Hause nimmt, was ja sogar stimmt. In das Haus in der Stadt.
Beim Gedanken an Frøydis beginnen seine Gedanken, Karussell zu fahren. Er wird die Frauen niemals verstehen! Niemals! Er hatte geglaubt, sie zu kennen, geglaubt, sie zu verstehen, dabei hatte er rein gar nichts verstanden.
Dass sie es gewagt hatte!
Er sah Kristin von der Seite an. Früher oder später würden sie nach Hause fahren. Aber vorher würden sie noch einen kleinen Ausflug machen.
3
Während er fuhr, beide Hände am Steuer, die Augen auf die Straße und die Landschaft gerichtet, schien er fast vergessen zu haben, dass sie neben ihm saß. Er hatte ein paar Kassetten aus den Siebzigerjahren, die er immer wieder spielte. Einige der Lieder wie »Hotel California« spulte er sogar mehrmals zurück, um sie noch einmal zu hören. Auf der Klappe des Handschuhfaches klebten ein roter Nichtraucher-Aufkleber und ein weiterer Aufkleber, der verkündete, wie tödlich das Rauchen sei. Den Zigarettenanzünder in der Armatur hatte er entfernt.
Als sie sich räusperte und leise hervorpresste, dass sie mal pinkeln müsste, fuhr er an die Seite und ließ sie hinter einem Busch verschwinden. Er forderte sie auf, laut zu zählen, damit er sicher sein konnte, dass sie keine Dummheiten machte.
Obgleich sie die Strecke schon hundertmal gefahren war, kam sie ihr länger und noch eintöniger vor als früher. Alles war, wie es immer gewesen war. Die dunklen Baumstümpfe und Wurzelballen, die Tümpel, die zwischen den Stämmen glänzten, die summenden Stromleitungen, die Streukästen der Straßenmeisterei.
Die Angst war einer Art benommener Resignation gewichen. Sie sann darüber nach, sich aus dem Auto fallen zu lassen, sobald sie in eine dichter besiedelte Gegend kamen, wusste aber im Grunde genommen, dass sie sich das niemals trauen würde. Sie könnte Zeichen geben, falls sie an Menschen vorbeiführen, die Scheibe runterkurbeln und um Hilfe schreien. So einfach wäre das. Aber sie würde es nicht tun. So einfach war das.
Vor einem der Kahlschläge fuhr er an den Rand und zog die Handbremse an. Ihr Körper versteifte sich. Jetzt passiert es, dachte sie. Jetzt bringt er mich mitten in der Einsamkeit um.
Er hielt ihr die Beifahrertür auf und führte sie zu einem Stapel frisch gefällter Tannen. Dort forderte er sie auf, sich zu setzen, während er sie filmte. Er bat sie zu winken und zu lächeln. Sie winkte und lächelte. Als er genug hatte, fuhren sie weiter durch den Wald.
4
An der Reichsstraße biegt er rechts ab, nicht in Richtung Oslo. Er merkt, dass sie ihn ansieht, sagt aber nichts.
Etwas später fragt sie: »Fahren wir ins Fjell?«
Auch diese Frage lässt er unbeantwortet.
Auf dieser Straße ist mehr Verkehr; er befürchtet, dass sie den anderen Autofahrern Zeichen geben könnte. Aber sie sitzt reglos neben ihm. Er hat ihr einen Hut und eine Sonnenbrille gegeben, mit denen sie niemand erkennen kann. Sie könnte ohne Weiteres seine Frau sein, zum Beispiel. Er lacht leise vor sich hin.
Oben bei den Bøverfossfällen biegt er auf einen leeren Rastplatz ab und geht mit ihr ein Stück am Fluss entlang, um sie zu filmen. Sie ist verkrampft und ängstlich. Er will, dass sie sich auf einen Felsen am Flussufer setzt. Mit dem weiß schäumenden Wasserfall im Hintergrund gibt das ein paar wunderbare Aufnahmen. Er bittet sie, den Hut und die Brille abzunehmen, und sie winkt und lächelt.
Beim Fahren hängt er seinen Tagträumen nach. Seine Sinne sind auf den Weg konzentriert, aber in Gedanken ist er ganz woanders. Er fährt gerne Auto.
Sie sitzt schweigend neben ihm. Er hätte mehr
Weitere Kostenlose Bücher