Tabu: Thriller
sollst!« Seine Stimme war nicht mehr gereizt. Ganz im Gegenteil, höflich. Vielleicht kam ihr deshalb der Ton besonders drohend vor.
»Sie sitzen auf meinen Kleidern«, sagte sie.
Er lachte, hob das Hinterteil und zog die Kleider darunter hervor.
Sie hatte gehofft, dass er sich abwenden oder wenigstens wegschauen würde, aber er blieb sitzen und filmte sie weiter.
Sie begann mit dem Slip, aber er forderte sie mit einer Handbewegung auf zu warten.
Zuerst sollte sie das Nachthemd ausziehen.
Die Angst breitete sich wie ein Netz aus eisigen Feuerfäden vom Bauch über den ganzen Körper aus. Er wollte sie vergewaltigen! Jetzt begriff sie. Er wollte sie vergewaltigen, aber nicht grausam und brutal, wie er tötete. Langsam und sanft, als wären sie ein Liebespaar. Er würde sie küssen und liebkosen und nur Gewalt anwenden, wenn sie sich widersetzte.
Der Slip entglitt ihren Fingern. Fiel zu Boden.
Die Angst ballte sich zu einem harten Klumpen zusammen. Ihre Hände begannen zu zittern, das Kinn und die Unterlippe bebten.
»Reiß dich zusammen!«
Sie setzte sich im Bett auf, zog das Nachthemd über den Kopf, verschränkte die Arme vor den Brüsten und blickte auf die Knie. Inzwischen zitterte sie am ganzen Körper. Sie sah ihn nicht an.
»Leg dich wieder hin«, sagte er leise. Zum ersten Mal hörte sie so etwas wie Unruhe in seiner Stimme.
Arme und Beine wollten ihr nicht gehorchen. Aber dann löste sich ein Knoten, und sie kippte nach hinten aufs Bett.
Sie starrte an die Zimmerdecke, die trockenen Holzbalken, die Risse in den Brettern, die Astlöcher.
Der Klumpen in ihrem Bauch wuchs und schwoll an. Wenn er mich jetzt anfasst, kotze ich ihm mitten ins Gesicht.
Sie drehte den Kopf zur Seite. Er saß reglos da. Sein Blick glitt über ihren Körper.
Plötzlich bewegte er sich.
Jetzt fällt er auf die Knie und fasst mich an. O Gott!
Im Reflex presste sie die Schenkel zusammen und ballte die Hände zu Fäusten.
Jetzt kommt er, dachte sie.
Er beugte sich vor. Hob den Slip vom Boden auf. Warf ihn auf ihren Bauch.
»So! Jetzt zieh dir was über!«
Sie blieb liegen. Glaubte, sie müsse sich verhört haben, dass das eine Falle war, eine dreckige Falle. Aber als sie zu ihm hinsah, war er bereits wieder mit seiner Videokamera beschäftigt. Das rote Lämpchen leuchtete. Ohne ihn aus den Augen zu lassen, setzte sie sich auf. Zog den Slip an. Den BH. Die Strümpfe. Das Flanellhemd. Die Jeans. Die ganze Zeit filmte er sie. Und das rote Lämpchen leuchtete wie das Auge des Bösen.
2
Sie saßen in der Küche und tranken Tee, als die Dämmerung den Bergkamm erklomm. Er hatte die Hände um den Becher gelegt, als wollte er sich daran wärmen, und blies vor jedem Schluck, den er nahm, in den Tee. Kristin gab sich Mühe, unbeschwert zu wirken, aber jedes Mal, wenn sie den Becher hochhob, zitterte ihre Hand so heftig, dass sie sie mit der anderen stützen musste.
Und die ganze Zeit konnte sie an nichts anderes denken als daran, wann er sie wohl umbringen würde.
Es überraschte sie, was für ein anziehender Mann er war. Sehr schöne Augen. Schmale Nase und schmale Lippen. Nicht ihr Typ, aber einer von diesen Männern, von denen man sich leicht angetrunken gern in einem Nachtclub abschleppen lässt.
Ihr Blick fand das Brotmesser.
»Das wäre nicht sehr schlau«, sagte er.
Sie starrte aus dem Fenster. Ein Schaf blökte.
Er nahm den Becher hoch, blies hinein und nahm schlürfend einen Schluck. Behutsam stellte er den Becher wieder ab.
»Natürlich kannst du versuchen zu fliehen. Oder mich zu töten.« Er grinste. »Aber das wäre dumm. Entsetzlich dumm, Kristin.«
Ihr Name aus seinem Mund jagte ihr einen Schauer über den Rücken.
Seine Hände schoben sich unter seinen Pullover und zogen einen Revolver hervor. Einen großen, schweren Revolver.
»Soll ich dir zeigen, wie dumm das wäre?«
Sie schüttelte den Kopf. Der Revolver war stahlblau.
»Nein! Nicht nötig…! Ich werde nichts dergleichen tun. Bitte…«
»Ich bin nicht sicher, Kristin. Ich weiß, wie verlockend es ist, es wenigstens zu versuchen. Du hast Angst. Du fragst dich, was ich mit dir vorhabe. Ob ich dich umbringen werde. In ein paar Minuten. Oder Tagen. Ober ob das nur eine leere Drohung ist. Du fragst dich, ob ich dich quälen werde. So lange, bis du es nicht mehr aushältst. Du denkst, dass ich krank im Kopf bin und so viel Böses getan habe, dass es dich keine moralische Überwindung kosten würde, mich umzubringen. Nicht, wenn du damit dein
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