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Tabu: Thriller

Tabu: Thriller

Titel: Tabu: Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Egeland
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hält inne. »Es war nicht Rune, der Linda getötet hat.«
    Sie sitzt steif da, regungslos, atmet nicht. »Es stimmt! Er bekam die Schuld, aber er war es nicht.«
    »Mein Gott…«
    »Niemand wusste von uns. Da hat sie genau aufgepasst. Sie fand es wohl ein wenig peinlich, dass ich jünger war als sie. Mädchen sind so, weißt du. Und Rune hätte sie umgebracht, wenn er das über uns herausgefunden hätte.« »Sie waren das…«
    Er macht die Kamera aus und legt sie aufs Bett. Dann stellt er die Taschenlampe auf das Nachttischchen. Das Licht fällt kalt auf das gerissene Holz der Decke.
    »Ja«, sagt er, »ich war das.«
    »Sie! Die ganze Zeit!«
    »Ja«, wiederholt er, »ich, die ganze Zeit.«

Azuria

I
    In der Nacht, in der ihre Mutter starb, befanden sich Kristins Gedanken in einem hauchdünnen Heliumballon, der nur noch über eine dünne Nervenbahn mit ihrem Körper verbunden war.
    Genauso war es in dieser Nacht. Ein Teil ihres Gehirns sah ein, wie verletzlich und hilflos sie war. Er konnte mit ihr tun, was er wollte, sie hatte ihm nichts entgegenzusetzen. Gleichzeitig hatte ein anderer Teil ihren Körper verlassen, um zu beobachten, zu analysieren, zu reflektieren. Sie hörte seinen Atem; ruhige Atemzüge durch die Nase, als würde er schlafen. Im Schein der Taschenlampe sah sie sein schmales Gesicht und die klarblauen, ziemlich großen Augen, die sie an ein trauriges Kind erinnerten. Die Augenbrauen wuchsen über der Nasenwurzel fast zusammen. Er sah nett aus. Attraktiv. Völlig anders, als sie ihn sich vorgestellt hatte. Er saß auf Halvors Bett und bediente die Videokamera. Seine Finger waren lang und schmal, die Nägel gepflegt. Er trug keine Ringe. Hatte er Geschwister, Freunde, eine Geliebte? Sie versuchte, sich vorzustellen, was für ein Leben er lebte, wenn er keine Frauen verfolgte und tötete. Saß er an einem Esstisch und unterhielt sich mit Frau und Kindern, mit Eltern, Geschwistern, Tanten, Bekannten? Wechselte er morgens an seinem Arbeitsplatz ein paar freundliche Worte mit der Sekretärin? Vielleicht war er ja Fußballtrainer für kleine Jungs?
    Während sie ihn betrachtete, wurde die aufkeimende Sympathie von den Bildern seiner Opfer verdrängt, all der unschuldigen Frauen, die er gefilmt und ermordet hatte, gefilmt und ermordet, gefilmt und ermordet.
    »Überlegst du, wie du mich überwältigen und entkommen kannst?«, fragte er.
    Seine großen Augen waren gefühllos. Er sah bedrohlich aus. Wie ein Tier.
    »Nein…«, sagte sie abwehrend.
    »Versuch es gar nicht erst!«
    Mehr sagte er nicht. Er sah sie nur an.
    Sie konnte den Schluchzer nicht unterdrücken, der in ihr emporstieg.
    Ein mildes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Hast du Angst?«
    Sie brach in Tränen aus. Dabei wollte sie nicht weinen, wollte keine Angst zeigen. Aber ihre Augen flossen über, und die Tränen hinterließen einen brennenden Streifen auf der Wange.
    »Werden Sie mich umbringen?« Ihre Stimme war brüchig und voller Luftblasen. Was für eine dumme Frage… dumm! … dumm!… dumm! … Aber die Worte waren einfach aus ihrem Hirn auf die Zunge gepurzelt und ausgesprochen, ehe sie sie zurückhalten konnte. »Bitte, ich flehe Sie an, töten Sie mich nicht…«
    Es war, als spräche eine fremde Stimme aus ihr. Sie wollte nichts sagen, ahnte, dass es das Beste wäre, den Mund zu halten, aber die Worte mogelten sich an jeder Schranke vorbei ins Freie.
    Er schien ihr nicht zuzuhören.
    Sie schluchzte noch einmal.
    »Es dämmert bald«, sagte er.
    Sie fragte sich, ob sie den neuen Tag noch erleben würde. Oder ob er sie hier und jetzt umbringen würde. Jetzt verstehe ich, was die Leute damit meinten, wenn sie erzählten, dass die Todesangst sie gelehrt hat, Kleinigkeiten zu schätzen. Die Sonne. Den Wind. Das war ihr immer so banal vorgekommen, aber jetzt begann sie zu begreifen.
    »Zieh dich an«, befahl er.
    Die Worte lösten zwei widersprüchliche Gefühle in ihr aus. Erleichterung darüber, dass er sie offenbar nicht sofort töten wollte; Widerwillen, dass sie vor seinen Augen die Decke aufschlagen musste.
    Sie drehte den Oberkörper zur Seite und hielt inne.
    Er sah sie an.
    »Ist noch was?«, fragte er ungeduldig.
    »Mich anziehen?«, murmelte sie.
    Er beugte sich vor und riss ihr die Decke weg.
    »Willst du vielleicht so gehen?«, fragte er mit einem Blick auf ihr Nachthemd.
    Sie verharrte, auf einen Ellbogen gestützt, in einer Position zwischen Sitzen und Liegen.
    »Ich habe gesagt, dass du dich anziehen

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