Tabu: Thriller
höchstens fünf Minuten bis nach Ammerud.
Wurde im Vesletjern nicht auch ein ertrunkenes Mädchen gefunden?, dachte Gunnar.
Er schlich sich dicht an der Fliederhecke entlang in den Garten. Blieb regungslos stehen. Spähte zu den dunklen Fenstern. Suchte die Gegend mit wachsamem Blick ab. Die Apfelbäume hingen voller Früchte. Die Johannisbeersträucher leuchteten förmlich vor Beeren. Die Rosenbeete waren gejätet, und der dunkle Mulch schien frisch untergehoben worden zu sein.
Er hastete hinüber zu einem Apfelbaum, hockte sich hinter einen Johannisbeerstrauch und eilte dann über den Rasen bis zum Haus. Lauschte. Nichts. Dicht an die Wand gedrückt, bog er um die Hausecke. Stille. Dunkel. Er versuchte, durch ein Fenster hineinzuschauen, kam aber nicht hoch genug.
Also kniete er sich hin, um durch ein Kellerfenster zu blicken. Als er sein eigenes Spiegelbild sah, zuckte er zusammen. Schließlich legte er die Stirn direkt ans Glas und schirmte seine Augen mit den Händen ab. Aber er konnte nicht hineinblicken. Die Fenster waren auf der Innenseite beklebt.
Er stand auf und wischte sich den Sand von den Knien.
Er ist es, dachte er. Er wusste nicht, was ihn so sicher machte. Natürlich konnte er sich wieder irren, aber er fühlte: Dieses Mal irre ich mich nicht! Jetzt habe ich ihn!
00 Uhr 40
Sie träumte unruhig.
Für Kristin war es keine gute Nacht. Bei jedem Versuch, sich umzudrehen oder an der Nase zu kratzen, wachte sie auf.
Sie wusste nicht, was sie geträumt hatte, aber die Träume ließen sie mit einem schmerzenden, klaustrophobischen Gefühl zurück.
Sie hatte einen trockenen Mund. Durst. Zu Hause hatte sie immer ein Glas Wasser auf dem Nachtschränkchen stehen.
Wenn sie den Kopf drehte, starrte sie direkt in das Gesicht des Mannes, der neben ihr lag. Er schlief fest mit gleichmäßigen Atemzügen und auf dem Bauch gefalteten Händen.
Sie dachte: Ich weiß nicht einmal, wie er heißt.
3 Uhr 44
Runar Vang weigerte sich, etwas zu unternehmen.
Gunnar traute seinen Ohren nicht. Er hockte auf einem unbequemen Stahlrohrstuhl in einem der Ermittlungsräume. Vang thronte hinter seinem Schreibtisch. Oscar Lund, den Gunnar zu Hause abgeholt hatte und der dafür gesorgt hatte, dass Gunnar zehn Minuten Audienz bei Seiner Heiligkeit erhielt, lehnte an der Wand.
»Aber das ist doch alles ganz offensichtlich«, stotterte Gunnar verwirrt. Er hatte von den Gesprächen mit Rune Strøms Freunden erzählt, davon, wie ein Puzzle-Steinchen nach dem anderen an seinen Platz gefallen war und ihn veranlasst hatte, zu diesem Haus in Rødtvet zu fahren.
Vang schüttelte den Kopf und machte Anstalten, sich zu erheben. Sein Gesicht war angespannt, die Augen rot vor Schlafmangel. »Interessanter Hinweis«, sagte er, »Sie vergessen aber, dass die Polizei bereits jemanden verhaftet hat, der in Untersuchungshaft sitzt.«
»Aber das ist der Falsche!«
Vang nahm einen großen Schluck aus seiner Kaffeetasse und zeigte mit dem Finger auf Gunnar: »Hören Sie, Herr Borg, lassen Sie mich erklären«, sagte er mit rauer Stimme. »Eine Polizeiermittlung ist eine mühsame, methodische Arbeit. Wir folgen einer Hauptspur und beleuchten diese von den unterschiedlichsten Blickwinkeln aus. Parallel zu dieser Hauptspur verfolgen wir aber auch noch andere Spuren. In diesem Fall können wir uns vor Hinweisen kaum retten. Einige passen. Andere sortieren wir gleich aus. Wieder andere legen wir zur Seite, um sie später zu überprüfen, wenn wir mit den vorrangig behandelten Spuren nicht weiterkommen. Es ist nicht so, dass wir für jeden heißen Tipp alles stehen und liegen lassen und gleich zur Tür rausstürzen. Was haben Sie mir heute Nacht noch gleich gesagt? Dass eine alte Freundin von Linda Gabrielsen, eine Freundin, die in der Psychiatrie untergebracht worden ist, behauptet, Linda habe einen Geliebten gehabt. Und wenn schon? Damit sind wir möglicherweise ein klitzekleines bisschen näher an der Lösung des Gabrielsen-Falls, sollte diese Ermittlung denn jemals wieder aufgenommen werden. Ihr Geliebter hat in der Nähe von Ammerud gelebt, sagen Sie? Nun, das trifft auch auf fünfzigtausend andere zu. Eine Person, die in den Siebzigerjahren eine Verbindung zum Freundeskreis der Kathedralschule hatte, erinnert sich daran, dass einer in der Gruppe immer mit einer Schmalfilmkamera herumrannte und deshalb Hitchcock genannt wurde. Na und? Und weil dieser Filmamateur in Rødtvet wohnt, leiten Sie SIMSALABIM! ab, den Fall gelöst zu haben. Sie
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