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Tabu: Thriller

Tabu: Thriller

Titel: Tabu: Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Egeland
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Kristin hatte ihn nie etwas von einer Frau oder Freundin erzählen hören. Sie war sich ziemlich sicher, dass er noch nie mit jemandem geschlafen hatte, konnte sich ihn überhaupt nicht vorstellen, wie er eine Frau umwarb und verführte. Oder sich verführen ließ.
    Nachdem sie es sicher zwanzigmal klingeln lassen hatte, legte sie auf. Wahrscheinlich war er im Stall oder draußen auf dem Feld.
    Sie würde es später noch mal probieren.
     
    Sie hatte Kopien der beiden Briefe des Entführers in ihrer Handtasche. Die breitete sie jetzt auf dem Wohnzimmertisch aus und sah sich die Schrift genauer an. Kleine, kantige Buchstaben. War er wütend, als er die Briefe geschrieben hatte? Voller aufgestauter Wut? Oder versuchte er nur, seine Handschrift so unkenntlich wie möglich zu machen? Die Handschrift eines Menschen ist fast so individuell wie sein Fingerabdruck.
    Sie hielt das eine Blatt gegen das Licht, als hoffte sie, dass die Kopie einen versteckten Code oder etwas in der Art barg.
    Wenn sie dir nun nicht glauben und nicht auf dich hören bei dem einen Zeichen, so werden sie dir doch glauben bei dem anderen Zeichen.
    Was um Himmels willen hatte diese schwülstige Mitteilung zu bedeuten? Hörte sich nach einem Zitat aus der Bibel oder von Edgar Allan Poe an. Ihr Großvater hatte so geschrieben, aber der war 1899 geboren. War der Entführer ein alter Mann? Kristin runzelte die Stirn. Oder war er ein junger Mann, der sich nur den Anschein geben wollte, als wäre er alt? Aber wozu das Ganze?
    Sie las den zweiten Brief noch einmal.
    Wenn sie aber diese zwei Zeichen nicht glauben und nicht auf dich hören werden, so nimm Wasser aus dem Strom und gieße es auf der Erde aus, dann wird das Wasser, das du aus dem Strom genommen hast, zu Blut werden auf der Erde.
    Absolut unverständlich. »Zu Blut werden auf der Erde« war mit rotem Stift geschrieben. Weil er sie für schwer von Begriff hielt?
    Der Text kam ihr wirklich bekannt vor. War das ein Zitat aus einem Klassiker? Ibsen? Hamsun? Dostojewski?
    Wenn ihr jemand weiterhelfen könnte, dann Gunnar. Er konnte ganze Passagen alter Werke zitieren, die er gelesen hatte. Und er hatte sie alle gelesen. Absolut alle. Seine Wohnung war die reinste Bibliothek. Oder eher noch ein Antiquariat.
    Sie hatte Gunnar schon einige Wochen nicht mehr gesehen. Er hatte sicher einen guten Rat auf Lager. Nicht nur wegen der Briefe, sondern wegen der ganzen, vertrackten Situation. Und wegen des Videos. Gunnar wusste immer, was zu tun war.
    Sie sah auf die Uhr. Halb sieben. Er könnte in einer halben Stunde im Beckers sein, wenn sie ihn dorthin einlud.
    »Mein guter, alter Gunnar«, murmelte sie, während sie seine Nummer wählte. »Sei bitte zu Hause.«

Ein junger, alter Mann
    »Elementar, beste Kristin, das ist Moses!«
    Mit selbstzufriedenem Nicken gab Gunnar Borg Kristin die zwei Blätter zurück. Er musterte sie über den Brillenrand hinweg und nahm einen großen Schluck von seinem Halbliterglas alkoholfreiem Bier. Die Kohlensäure prickelte sanft an seinem Gaumen.
    »Moses?«, wiederholte Kristin.
    Gunnar unterdrückte einen Rülpser. »Moses!«, polterte er und breitete die Arme aus. Vom Nachbartisch schauten zwei junge Männer zu ihm herüber. »Himmelherrgott! Der mit den Steintafeln, klickert es?« Mit oberlehrerhafter Miene schob er die Brille auf die Nasenspitze. »Mein junges Fräulein Bye, haben Sie im Religionsunterricht geschlafen, oder was? Das sind Bibelzitate!«
    Sie sah auf die Kopien.
    »Erstes oder zweites Buch Mose«, fuhr er fort.
    Sie lächelte ihn verblüfft an, und er erwiderte ihr Lächeln. Kristin war wie eine Tochter für ihn, ein rebellisches aufmüpfiges Kind.
    »Da du so allmächtig und allwissend bist, o Herr und Meister, kannst du mir doch sicher auch erklären, wieso in Gottes Namen mir jemand solche Briefe und Videobänder schickt.«
    Das Glas gab einen klagenden Ton von sich, als er den Zeigefinger über den Rand kreisen ließ. Er versuchte, gleichgültig zu wirken. Was ihm nicht leichtfiel. Er machte sich Sorgen um sie. Irgendein verschrobener Irrer hatte sich Kristin ausgesucht, und verschrobenen Irren war alles zuzutrauen. Alles! Aber er wollte sie nicht unnötig beunruhigen. Also lächelte er bemüht und sagte: »Du meine Güte, Kristin, was für eine fantastische Geschichte. Fabelhaft! Die hätte ich gerne in der morgigen Zeitung.«
    »Gunnar! Ich hab dein Wort!«
    »Entschuldige, Kristin, in dem Fall müsste ich eigentlich den Ausnahmezustand verhängen.

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