Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tabu: Thriller

Tabu: Thriller

Titel: Tabu: Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Egeland
Vom Netzwerk:
aber nach einer Nacht Bedenkzeit hatte Gunnar abgelehnt. Er wollte kein Chef sein. Allzu häufig hatte er erlebt, wie es den Kollegen ergangen war, die sich von der Schreibmaschine hatten weglocken lassen. Gunnar wollte schreiben. Basta. Er war Journalist. Punktum finale.
    Er hatte die Entscheidung niemals bereut. Als Korrespondent wurde ihm großer Respekt von seinen Kollegen und Lesern gezollt. Sie hörten auf ihn. Die beiden Bücher, die er über seine Jahre als reisender Reporter geschrieben hatte, verkauften sich ganz passabel. Über ihn wurde gesprochen.
    Aber dann war er plötzlich in Vergessenheit geraten. Man hätte meinen können, er wäre gestorben. Mitte der Siebzigerjahre kam die Flaute. Das Leben stagnierte. Seine Artikel blieben liegen und vergilbten in den Ablagefächern. Andere Dinge waren wichtiger. Und Gunnar verstand. Er war seiner Arbeit überdrüssig geworden, und das konnte man zwischen den Zeilen lesen. Er war es leid, zu lesen, was die ausländischen Kriegsreporter schrieben, die Analysen anderer umzuschreiben und die sterbenslangweiligen ausländischen Telegramme aus der Nachrichtenredaktion zu bearbeiten. Er trank immer mehr. Und in einem Versuch fachlicher Wiederbelebung wechselte er in den einzigen Bereich der Branche, der immer noch ein gewisses Maß an Spannung zu bieten hatte: den Kriminaljournalismus.
    Gunnar lernte Kristin kennen, als sie noch aufs Gymnasium ging und für die Lokalzeitung schrieb. Da er im Einzugsbereich der Zeitung lebte und noch einen gewissen Ruhm genoss, wollte der Redakteur ein Freitagsporträt von ihm bringen. Und dafür hatte er die junge Kristin geschickt.
    Während des Interviews hatte sie keinen besonderen Eindruck auf Gunnar gemacht. Sie war viel zu unsicher, nuschelte und wurde zu schnell rot, um den mit allen Wassern gewaschenen Weltreporter zu beeindrucken. Aber als er drei Tage später ihren Artikel in der Zeitung las, war er verblüfft. Dieses reizende, verklemmte junge Mädchen hatte ein bissiges, ausdrucksstarkes, schlagfertiges Porträt geschrieben.
    Das war der Beginn einer langen Freundschaft. Gunnar hatte sie seine Tricks gelehrt und ihre Artikel seziert. Er hatte ihr den Unterschied zwischen »Chance und Risiko« eingebläut und ihr Quellenkritik und Interview-Techniken beigebracht. Und schließlich hatte er seinen Freund, den Chefredakteur, angerufen, als Kristin sich um eine Stelle bei Adressa beworben hatte, und ihr so die Tür zum Dagbladet aufgestoßen. Darüber hatte er nie mit ihr geredet, und es war ihm auch lieber, dass sie es nie erfuhr. Ihr Talent stand felsenfest auf eigenen Beinen.
    Sie hatte ihre Eltern im Teenager-Alter verloren. Zuerst ihre Mutter, dann wenige Jahre später den Vater. Gunnar fühlte sich wie ein Ersatzvater. Er war nie so weit zur Ruhe gekommen, eine eigene Familie zu gründen. In den Jahren, in denen er geduckt über die Schlachtfelder lief und ihm die Granaten um die Ohren flogen, hätte er den Gedanken nicht ertragen, dass zu Hause jemand auf ihn wartete. So nahm Kristin die Stellung der Tochter ein, die er niemals hatte. Voll väterlichem Stolz sah er die verzagte Schülerin zu einer hübschen, nachdenklichen jungen Frau heranwachsen. Er begrüßte ihre Liebhaber mit Mordlust im Blick und spendete bei jeder Beziehung, die in die Brüche ging, erleichtert Trost.
    Als Gunnar vor einigen Jahren die Kontrolle über seinen Alkoholkonsum verlor, hatte Kristin ihn aufgefangen. Er hatte schon immer viel getrunken. Vielleicht, um die Nerven zu beruhigen, vielleicht, weil die Drinks und die Biere eine Art Lebensstil waren. Und ein Trost. Draußen in der weiten Welt traf man die meisten Menschen in Bars. Informanten, Interview-Partner, Kollegen, vielleicht eine Freundin für eine Nacht. Und zu Hause wartete nur die erdrückende Stille. All die Jahre war es ihm gelungen, die Flasche rechtzeitig zuzudrehen. Doch eines Tages hatte er die Grenze überschritten. Da hatte Kristin eingegriffen. Unbarmherzig. Gnadenlos. Sie hatte ihm kräftig die Leviten gelesen.
    Und ihn wieder auf die Beine gebracht.
    Die letzten zwei Jahre hatte er ausschließlich Wasser, Saft und alkoholfreies Bier getrunken. Er würde lügen, wenn er behauptete, nicht zwischendurch einen Drink oder ein ordentliches Pils zu vermissen. Aber er kam zurecht. Er war mit einer gehörigen Portion Glück und Willenskraft auf die Welt gekommen. Er kam immer zurecht.
     
    »Hättest du die Aufnahmen gezeigt, Gunnar?«, fragte Kristin.
    Er tauchte langsam aus seinen

Weitere Kostenlose Bücher