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Tabu: Thriller

Tabu: Thriller

Titel: Tabu: Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Egeland
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locken?«
    »Das ist durchaus möglich. Solange wir nicht mehr über die Psychologie des Täters wissen, können wir nicht sagen, ob er berechnend genug ist, eine falsche Fährte zu legen, oder ob er in seinen Wahnvorstellungen gefangen ist. Aber wie ich vorhin bereits andeutete: Die Bibelzitate könnten ein Versuch sein, uns in die Irre zu leiten. Oder er ist religiös besessen. Noch mehr Fragen?«
    Natürlich gab es noch mehr Fragen.

Anita
    Die Sonne schien grell durch das Panoramafenster der Eisdiele und zwang sie, die Augen zuzukneifen. Ihr Bananensplit fing bereits an zu schmelzen. Sie schob einen Löffel der weichen Eiskrem in den Mund, schmatzte leise und schaute auf die belebte Straße.
    Anita Fjordvik hatte bereits morgens, lange vorm Aufwachen, geahnt, dass dies ein besonderer Tag werden würde. Ihr Zimmer war in sanftes Licht getaucht gewesen, die Luft voller Pollen, auf dem Fensterbrett hatten träge Fliegen gesummt, während laue Windstöße mit der Gardine spielten. Bei Sonnenschein musste sie immer an die Sommer daheim im Sørland denken. Sie sah sich dann selbst auf einer glatten Klippe, tropfnass, braun und schlank; umgeben von den Jungen aus der Stadt, die um einen Platz neben ihr kämpften. Die Sommergöttin. Der Fjord glitzerte und blinkte, Boote glitten vorbei, fröhliche Rufe von jemandem auf einer Luftmatratze. Wenn die Haut sich aufgewärmt hatte und getrocknet war, stand sie auf und lief zum Sprungbrett, die linkischen Jungs wie einen Hofstaat hinter sich herziehend, und sprang mit dem perfekten Sprung ins Wasser, einem Gleitflug, der sich in ihre Erinnerung einbrennen würde.
    Mit halb geschlossenen Augenlidern genoss sie das Eis und sah die Männer an, die draußen auf dem Bürgersteig vorbeispazierten. Abschätzend. Verwerfend. Bewundernd.
    Sie war auf einem Sonnenstrahl durchs Leben gesegelt. Hatte nette, wohlhabende Eltern, wenn auch ein bisschen zu religiös; war gut in der Schule gewesen und hatte viele Freundinnen, war beliebt. Mit fünfzehn waren die älteren Jungs vor der Imbissbude auf sie aufmerksam geworden. Sie erinnerte sich an die Freitagabende auf den Rückbänken der Asconas und BMWs: Guns N’Roses, lauwarmes Bier, »The Final Countdown«, Zungenkuss. Die Freundschaften hielten ungefähr ein halbes Jahr. Nie länger als bis zum nächsten Sommer. Dann kamen neue Jungs in die Ferien. Die Jungs aus der Stadt. Sie legte ein glänzendes Abitur ab und schrieb sich an der Universität in Oslo ein. Kurz nachdem sie nach Oslo gezogen war, hatte sie sich in einen verheirateten Mann verliebt. Vidar. Er hatte gerade Schluss gemacht. Aus Rücksicht auf seine Frau. Was ihr ausgezeichnet passte, denn er hatte begonnen, sie zu langweilen. Wie die meisten Männer nach einer gewissen Zeit.
    Im Augenwinkel registrierte sie, wie sich jemand auf den Barhocker neben sie setzte.
    »Hallo, Anita? Lässt du heute norwegische Geschichte sausen?«
    Sie sah den Fremden verdutzt an. Er kam ihr vage und kribbelnd bekannt vor.
    »Entschuldigung?«, stotterte sie und merkte verärgert, dass sie rot wurde. Sie dachte, das Rotwerden hätte sie überwunden. »Kennen wir uns?«
    Er lachte kurz. »Das kann ich kaum behaupten, bedaure.« Seine Stimme war sanft, wie die Stimme ihres Konfirmationspastors. Er streckte die Hand aus. »Bård! Erkennst du mich nicht wieder? Ich bin Dozent an der historisch-philosophischen Fakultät. Ich hab mich schon gefragt, wieso um alles in der Welt du meinen Sommerkurs meidest.« Er sah ihr verblüfftes Gesicht und wischte den Scherz mit einem Lachen beiseite.
    Er war älter als sie, anziehend. Lag wohl an seinen hellblauen Augen, dachte sie; unergründlich und mystisch.
    Verlegen drückte sie seine Hand. Er verwirrte sie, weil er gut aussah, sie zum Erröten brachte und weil ihr einfiel, dass sie ihn in letzter Zeit ein paar Mal in der Uni gesehen hatte, ohne ihm weiter Beachtung zu schenken.
    »Woher wissen Sie, wer ich bin?«, fragte sie und schob sich einen Löffel Eis in den Mund.
    »Wenn ihr wüsstet, wie viel wir über euch Studenten wissen«, sagte er, »würdet ihr sehr viel vorsichtiger sein bei allem, was ihr tut.«
    Sie errötete wieder. Was war bloß mit dem Mann? »Und Sie – Sie verfolgen also junge Studentinnen durch die Stadt?«, sagte sie kokett.
    »Genau!«, sagte er ernst. »Ich folge dir schon seit einer ganzen Woche. Tag und Nacht!«
    Sie sah seinen geheimnisvollen Gesichtsausdruck und prustete los. Dabei spritzte ein Tropfen Eiskrem auf sein T-Shirt. Was

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