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Tabu: Thriller

Tabu: Thriller

Titel: Tabu: Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Egeland
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getragen. Die Mutter folgte direkt im Anschluss, gestützt von ihren Schwestern. Ihr herzzerreißendes Schluchzen war bis auf die Anhöhe hinauf zu hören, auf der die Presse stand.
    Als der weiße Sarg ins Grab hinabgelassen wurde, blinkte die Sonne auf den Teleobjektiven und Ferngläsern.

Stillstand

1
    Die letzten Nächte hatte er auf dem Sofa im Büro übernachtet. Nicht allein, weil sich die Arbeitstage immer länger in die Nacht hineinzogen, sondern weil ihm seine Wohnung kalt und fremd wie eine Ausnüchterungszelle vorkam. Doch heute Abend musste Polizeidirektor Runar Vang nach Hause, um zu duschen und die Kleider zu wechseln. Im Bad zog er sich aus und stopfte Hemd, Strümpfe und Unterwäsche in die Waschmaschine. Er drehte den Hahn auf, füllte Waschpulver ins Fach und blieb dann splitternackt in der Hocke sitzen und starrte entgeistert auf all die Knöpfe und Symbole.
    Nach der Dusche ging er in die Küche und schmierte sich drei Brote mit braunem Käse und Leberwurst. Die Milch im Kühlschrank war sauer. Herdis hatte immer eine Kanne mit Kaffee bereitstehen gehabt, wenn er nach Hause kam, doch jetzt fand er nur das Glas mit dem Pulverkaffee.
    Sie hatte ihn so gut umsorgt. Wenn er, was selten vorkam, zum Mittagessen nach Hause kam, tischte sie ihm die leckersten Delikatessen auf, und auch wenn er bis spät in die Nacht an einer Sache gearbeitet hatte, saßen sie anschließend oft noch bei einer Tasse Kaffee zusammen am Küchentisch und redeten. Manchmal zündete sie dann eine Kerze an und machte die Deckenlampe aus. Sie konnte so etwas besser als er. Wenn er müde und down war, löste sie seinen Schlips, öffnete sein Hemd und massierte ihm die Schultern, und einige Male hatte sie ihn ins Wohnzimmer geleitet und mit ihm auf dem Sofa geschlafen. Aber natürlich erst, nachdem Roger von zu Hause ausgezogen war. Sie war ziemlich erfinderisch, was das anging.
    Bin ich inzwischen zu alt für sie? Ist es das?, fragte er sich.
    Sie wohnten im dritten Stock eines niedrigen Wohnblocks in Årvoll. Drei Zimmer, Küche, Bad. Ein sauberes, friedliches Fleckchen. Mit wunderbarer Aussicht über die Stadt und den Fjord. Herdis hatte der Wohnung ihren Stempel aufgedrückt. Sie erinnerte Vang an eine Hütte. Bauernmöbel aus Kiefernholz. Rot geblümte Gardinen. Ein massives, übervolles Bücherregal. Familienporträts an den Wänden. Und ein paar gerahmte Aquarelle, die Herdis als Kunst bezeichnete. Das Viertel war gleich nach dem Krieg gegründet worden, und der sozialdemokratische Geist wehte noch durch alle Treppenhäuser, Gärten und Flure. Hausgemeinschaftsarbeit dreimal im Jahr. Eine Verwaltung, die alles in Ordnung hielt. Versäumte jemand die Putzwoche, kam der Siedlungsvormann persönlich. Vang fühlte sich wohl.
    Im Morgenmantel schlurfte er zu der großen Kiste, in der er seine Jazzplatten aufbewahrte. Eine Sammlung, auf die er stolz war. Der einzige Luxus, den er sich gönnte. Fast zweihundert alte Vinylplatten. Count Basie. Errol Garner. Oscar Peterson. Art Tatum. Die ganze Bande. Er mochte alten Jazz, am liebsten die Pianisten. Die Rhythmen. Die schrägen, synkopierten Akkorde und die federleichten Fluchten über die Tasten.
    All die Gefühle.
    Er legte eine seiner Lieblingsplatten auf. Errol Garner. Hob die Beine auf den Tisch und lehnte sich zurück. Schloss die Augen, lauschte. Es knisterte und rauschte hinter den Akkorden. Er hörte das zufriedene Grunzen von Garner.
    Jede Strophe erinnerte ihn an Herdis.
    Ihr Duft hing noch im Bettzeug, als er ins Bett ging. Er kroch auf ihre Seite, wo er schließlich einschlief.

2
    Um halb sieben am nächsten Morgen fuhr er wieder ins Büro.
    Der Himmel war klar und durchsichtig. Er war müde.
    Als er sich an den Schreibtisch setzte und die Mappen öffnete, in denen die Resultate der verschiedenen Gruppen aufgelistet waren, war ihm klar, dass ihnen trotz der vielen Fakten, die sie zusammengetragen hatten, der Durchbruch noch nicht gelungen war. Vang wusste aus Erfahrung, dass man bei jeder großen Ermittlung recht bald an einen Punkt kam, an dem man auf der Stelle zu treten schien, trotzdem färbte die Frustration, die sich im Team breitzumachen begann, inzwischen auch auf ihn ab. Die ersten Tage einer Ermittlung waren immer von Enthusiasmus und Optimismus geprägt, einem Gefühl der Zusammengehörigkeit und Unverwundbarkeit. Aber die Freude an der Teamarbeit verging rasch. Weil sie so viele waren und weil sie so wenige Anhaltspunkte hatten, hockten sie schon bald auf

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