Tabu: Thriller
einer schier endlosen Datenfülle. Ordner am laufenden Meter. Schuhkartons voller Disketten. Gebirgsketten aus provisorischen Regalen. Namen, Namen, Namen. Verhörprotokolle. Listen. Karten. Zeitungsausschnitte. Theorien.
Die Kanal-24-Spur, von der Vang im Stillen gehofft hatte, dass sie zur raschen Lösung des Falls beitragen würde, hatte keine nennenswerten Resultate gebracht. Sie hatten sehr diskret ermittelt. Vang persönlich hatte den Chefredakteur der Nachrichtenabteilung, Wolter, über die technischen und journalistischen Mitarbeiter ausgefragt, aber nicht ein einziger der Angestellten war für die Polizei von besonderem Interesse gewesen. Sie hatten eine Liste mit zwanzig Namen erstellt, die theoretisch ins Muster passten. Aber dann hatten sie einen nach dem anderen von dieser Liste streichen müssen.
»Die Jünger«, wie die Ermittler der Bibelgruppe ironisch genannt wurden, hatten ebenso wenig Glück. Es war ihnen zwar per Zufall gelungen, einen Pädophilenring innerhalb einer freikirchlichen Gemeinde auszuheben, aber die verirrten Seelen konnten rasch aus dem Kreis der Mordverdächtigen gestrichen werden. Die Videogruppe hatte einen Vertriebsweg für Pornofilme aufgedeckt, aber nichts, das sie zu Aquarius führte.
Eine achtköpfige Einheit war schon seit Tagen damit beschäftigt, alte Vermisstenmeldungen und Gewaltverbrechen durchzugehen. Alles, was auch nur im Entferntesten in Zusammenhang mit den Andeutungen im dritten Brief stehen konnte, wurde analysiert und ausgewertet. Name auf Name wurde in den Computer getippt. Es ging darum, die Maschinerie ordentlich zu füttern. Früher oder später würden sie einen Treffer landen: ein Name, der an verschiedenen Orten auftauchte, eine Person, die es wert war, genauer unter die Lupe genommen zu werden.
Und früher oder später würde dieser Name zu Aquarius passen.
3
Vang und Aksel Antonsen schlenderten in Richtung Oslo-Grønland, um etwas zu essen.
Die Konditorei war fast leer. Der Grund dafür lag auf der Hand. Das Lokal war kahl und kalt. Holzhocker und Plastiktische, und unter dem hohen Glastresen wimmelte es von Fliegen.
Sie kauften sich Hörnchen, Brötchen und Kaffee. Die Stuhlbeine kratzten über den Boden, als sie sich an einen Fenstertisch setzten.
»Sag mir eins, Runar«, sagte Antonsen zögernd und legte seine Finger zusammen. »Stimmt etwas nicht mit dir?«
Vang spürte seine eigene Anspannung. Er hatte niemandem etwas von Herdis erzählt. Konnte die mitfühlenden Blicke nicht ertragen.
»Du wirkst so… du weißt schon…«, Antonsen räusperte sich.
»Schwieriger Fall«, sagte Vang ausweichend und blickte aus dem Fenster. Eine pakistanische Mutter schob einen Kinderwagen über den Platz. Er spürte, wie Antonsen ihn musterte. »Sehr schwieriger Fall«, sagte er noch einmal und rutschte auf seinem Stuhl herum.
»Das stimmt«, sagte Antonsen. Er sah Vang an, wollte den Faden noch einmal aufgreifen, ließ es dann aber sein. »Glaubst du, wir kriegen ihn?«
»Früher oder später…«
»Die Frage ist also nur, wie viele er noch abmurksen wird, bis wir ihn finden?«
»Ja.«
»Bist du nicht mal bei so einem Kurs gewesen? In den Staaten?«
»Kein Kurs«, korrigierte ihn Vang. »Ein Vortrag.«
»So, und was denkst du?«
»Worüber?«
»Über ihn! Aquarius!«
»Was soll ich schon denken…«
»Lass uns ein bisschen laut überlegen, Runar. Wie in alten Zeiten! Weißt du noch, wie wir uns einfach nur Stichworte zugespielt haben, wenn wir bei einem Fall feststeckten? Früher?«
Vang lächelte und nahm schlürfend einen Schluck Kaffee. Natürlich erinnerte er sich.
»Du fängst an!«, sagte Antonsen.
»Wie du willst…« Vang schluckte und legte das Brötchen zurück auf den Teller. »Das sind bloß Vermutungen, aber egal: Von außen betrachtet wirkt er sehr sicher. Ruhig und beherrscht. Aber innerlich ist er ein Nervenbündel. Er ist kalt und zynisch. Ein richtiger Teufel. Manipulierend und berechnend. Gleichzeitig bilde ich mir ein, dass er sich tief in seinem Inneren wünscht, geschnappt zu werden. Er geht immer größere Risiken ein. Wenn es stimmt, dass er früher schon getötet hat, und er sich damit nicht bloß wichtigmachen will, hat er das in aller Stille getan. Jetzt geht er Risiken ein. Ein hohes Risiko, gefasst zu werden. Er spielt mit der Gefahr, überschreitet Grenzen. Er fordert uns heraus, Aksel! Er provoziert uns.«
»Warum meldet er sich nicht, wenn er gefasst werden will?«
»Wenn es uns nicht gelingt, ihn zu
Weitere Kostenlose Bücher