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Tabu: Thriller

Tabu: Thriller

Titel: Tabu: Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Egeland
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hatte eine Redaktionszentrale noch ausgesehen wie eine Redaktionszentrale. Verstaubt, schmutzig, unordentlich. Damals tickerten die News durch lärmende Telexmaschinen herein – Absender: Norsk Telegrambyrå, Associated Press, Reuters, United Press International -, und immer, wenn etwas besonders Wichtiges kam, klingelte eine Glocke. Meterweise zerknittertes Papier, das mit einem Lineal abgerissen, riiiitsch! , sortiert und dann auf Nägel gesteckt wurde. Schnatternde Schreibmaschinen mit einem trockenen Pling! am rechten Rand. Telefone, die klingelten und sich nicht wie elektronisches Spielzeug anhörten. Und trotzdem – Gunnar musste sich das eingestehen – war das Milieu noch immer unverändert. Neue Mitarbeiter, aber eben doch ein Abklatsch der Generation davor. Eine Menagerie aus Strebern und Jägern, verhinderten Künstlern, Faulpelzen, Idealisten und Zynikern. Halb volle Kaffeetassen. Notizblöcke mit unleserlichen Hieroglyphen. Der kranke Humor. Stapel alter Zeitungen und Dokumente. Einige warteten, andere jagten nach der guten Nachricht, der guten Geschichte, die die Zeitungen von Morgen prägen würde. Je mehr man sich der Deadline näherte, desto konzentrierter, dichter wurde die Stimmung. Das gute Gefühl, eine anspruchsvolle Zeitung zusammenzubasteln. Ein Gefühl der Gemeinschaft. Und die Verzweiflung, wenn die guten Themen ausblieben, wenn die Titelseite umgestaltet werden musste, weil das Thema nicht standhielt, man aber eigentlich nichts anderes hatte, das man als Aufmacher nutzen konnte. Gunnar dachte an den alten Witz: Ärzte begraben ihre Fehler, Juristen bringen sie hinter Schloss und Riegel. Aber Journalisten drucken sie. Jeden Tag ein Examen mit hunderttausend Begutachtern. Macht man einen Fehler, spitzen die Leser ihren Rotstift oder verklagen einen. Triumphierend! Norwegischlehrer, die erzürnte Leserbriefe schreiben, wenn man einen Schreibfehler gemacht oder sich gar in der Grammatik geirrt hat. Ein Astronom, der wütend anruft, weil man geschrieben hat, dass ein Jahr auf dem Neptun zweihundert Erdenjahre umfasst, wo doch jeder Idiot weiß, dass der Umlauf um die Sonne nur 164,79 Jahre dauert. Protestierende Statistiker, wenn man wieder einmal Prozent und Prozentpunkte verwechselt hat, und Rechtsanwälte, die mit einer Klage drohten, weil man geschrieben hat, dass ihr Klient wegen eines Bankraubs verurteilt wurde, obwohl es sich doch bloß um einen versuchten Postraub gehandelt hat. Das Schlimme war, dass sie alle recht hatten. Die ideale Zeitung macht keine Fehler. Vielleicht war es daher nicht erstaunlich, dass die Stimmung in der Redaktion so rau und hart war. Ein interner, abgegrenzter Jargon. Doch, er würde dieses Milieu vermissen.
    »Graut dir davor, in den Ruhestand zu gehen?«, fragte Langen.
    Gunnar holte tief Luft. Er hatte die Antwort auf der Zunge. Sie lautete: Ja, es wird merkwürdig sein. Das sagte er allen, die ihn danach fragten. Und das stimmte auch. Die Wehmut. Aber das Merkwürdige war: Er freute sich auch. Es war fast eine ungeschriebene Regel, dass man sich als Siebenundsechzigjähriger vor dem Ruhestand zu fürchten hatte. Es gab noch so viele unerledigte Dinge, man hatte noch so viel zu geben, und schließlich war noch Leben in dem alten Körper. Und vielleicht konnte man ja auf einem verlassenen Flur ein Büro behalten, in dem man vor sich hin lallen und einen Artikel schreiben konnte, der dann vielleicht eines Tages auch gedruckt würde. Doch, Gunnar freute sich. Er freute sich darauf, nachts wach bleiben und den nächsten Morgen verschlafen zu können. Freute sich darauf, sich in seinen Sessel zu drücken und zu lesen. Aber am meisten freute er sich darauf, seine alte Underwood-Reiseschreibmaschine hervorzuholen und zu schreiben. Seine Memoiren, definitiv. Einen Krimi. Außerdem trug er sich schon seit er dreißig war mit dem Gedanken, einen Kriegsroman zu schreiben. Eine norwegische Variante von Die Nackten und die Toten , ein Buch, das er bis heute als den besten Roman aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs erachtete. Schon mehr als zehn Figuren hatte er in seinem Kopf parat. Und auch die Handlung. Die Intrigen. Aber jedes Mal, wenn er ein weißes Blatt Papier in die Maschine schob und Erstes Kapitel oben auf die Seite schrieb, erstarrte alles. Der erste Satz wollte nicht kommen. Er war kein Mailer. Kein Hemingway. Aber er glaubte, dass sich alles ändern würde, wenn er erst pensioniert war. Dann hätte er die Zeit, einfach abzuwarten, bis die Worte kamen.
    Zeit.

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