Tabu: Thriller
Gefallen zu tun.
Er schlenderte zu der großen, u-förmig angeordneten Schreibtischabteilung, die er mit Antonsen, Alm, Ryvik und Gran teilte, auch »Hufeisen« genannt. Er saß nicht gerne so auf dem Präsentierteller.
Der Stuhl knarrte, als er sich setzte. Er sah den Stapel mit Berichten, die im Laufe der Nacht aufgelaufen waren. Um Zeit zu sparen, hatte er darauf bestanden, alle Berichte mit einer knappen Auflistung der wichtigsten Punkte einzuleiten. Genau wie der Aufmacher einer Zeitung. Den Ermittlern war das ein Graus. Aber ihm war schon zu einem frühen Zeitpunkt klar gewesen, dass in einer so großen Kommission wie dieser der Informationsfluss das größte Problem darstellen könnte. Viele Verbrecher konnten entkommen, weil wichtige Informationen in einem Chaos aus Berichten und Analysen untergingen. Darum war Vang höchst beglückt über die Nachrichtenabteilung der Aquarius-Kommission. Die Gruppe war einzig dafür da, die Berichte sämtlicher Ermittler zu durchkämmen und auf ein Konzentrat an Theorien und Schlussfolgerungen einzudampfen, um so für den Überblick über die Ergebnisse zu sorgen.
Nach wie vor war er davon überzeugt, dass die Videogruppe die größten Chancen hatte, Aquarius zu enttarnen. Darum war sie auch am stärksten besetzt. Nach langem Hin und Her hatten sie sämtliche Mitgliederlisten aller Filmgesellschaften und -clubs vorliegen. Parallel überprüften sie die Angestellten von Kanal 24 doppelt und dreifach in jeder nur denkbaren Hinsicht. Vang hatte das ungute Gefühl, dass Aquarius Kristin näherstand, als einer von ihnen ahnte.
Er gähnte kräftig.
Wenn es stimmte, was er vermutete, hätte sie allerdings heute Nacht seine Stimme wiedererkennen müssen.
Es ärgerte ihn, nicht daran gedacht zu haben, dass Aquarius sie auf dem Handy anrufen könnte. Dann hätten sie jetzt eine Tonaufnahme von seiner Stimme.
Er gähnte noch einmal. Warum gähnte er eigentlich, wenn er nicht müde war?
Im Laufe des Tages rief Roger an.
Er wollte wissen, ob er vorbeikommen könnte, um den Schlüssel für die elterliche Wohnung abzuholen. Herdis hatte ihn gebeten, ihr ein paar Dinge zu bringen.
Vang fuhr mit dem Fahrstuhl zur Rezeption runter, als der Securitas-Wachmann ihm mitteilte, dass sein Sohn gekommen sei. Sie gingen auf den Wendeplatz vor dem Eingang. Es war ein überraschend warmer, aber feuchter Tag. Vang, der sich so an die kühle Luft im Kinosaal gewöhnt hatte, hatte fast vergessen, dass Sommer war.
»Wo wohnt sie?«, fragte er beiläufig, während er an dem Schlüsselbund fingerte.
»Sie hat mich gebeten, nichts zu sagen, weißt du.«
»Kannst du denn nicht…«
»Verdammt, Papa, zieh mich da nicht mit rein. Ich finde das so schon alles ätzend genug…«
Er gab seinem Sohn den Schlüssel und bat ihn, ihn bis zum Abend beim Portier abzugeben.
Runar Vang hatte noch nie seine berufliche Stellung zu seinem eigenen Vorteil ausgenutzt. Aber jetzt gab er seine eigene Adresse an, beschrieb seinen Sohn und schickte einen Streifenwagen dorthin, der ihm folgen und ihm unmittelbar Bericht erstatten sollte.
Zum ersten Mal in seinem Leben fühlte er sich wie ein Verbrecher.
Der Bericht der Streife kam zwei Stunden später. Der junge Mann hatte einen Koffer bei einer Adresse in der Vogts Gate abgeliefert. Eine Wohngemeinschaft für Studenten und Umweltaktivisten.
Alte Freunde
Sie wollten ihn in der Aquarius-Gruppe haben.
Er hatte abgelehnt. Klar und deutlich. So klar und deutlich, dass die Schlange persönlich kam, um ihn zu überreden.
In der Aquarius-Gruppe waren Reporter aus allen Zeitungsredaktionen versammelt, größtenteils aus der Abteilung Kriminalistik. So gesehen war es ganz natürlich, dass sie sich an ihn gewandt hatten.
Dagegen sprach allerdings, dass er die letzten zwanzig Jahre nicht mehr aufgefordert worden war, bei irgendeinem Spezialprojekt mitzuarbeiten, dass er ein Urgroßvater war, der in einem Monat in Pension ging, und dass er seit 1977 allein gearbeitet hatte.
Und vor allem, dass er Kristin Byes vertrauter Freund war.
Das Ganze war so durchschaubar. Der Leiter der Aquarius-Gruppe, einer der Nachrichtenchefs am Layout-Tisch, war in sein Büro gekommen und hatte eine Lobeshymne über ihn ausgeschüttet. Sie brauchten jemanden von seinem Format und mit seiner Erfahrung in ihrer Mannschaft. Sein Beitrag wäre unermesslich. Ein würdiger Abschluss seiner Karriere.
»Quatsch«, hatte Gunnar gesagt. »Sieh zu, dass du zurück an deinen Layout-Tisch
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