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Tabu: Thriller

Tabu: Thriller

Titel: Tabu: Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Egeland
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auf den Bürgersteig vor Kanal 24. Gleichzeitig traf der Streifenwagen ein, der den Umschlag aus dem Postamt abgeholt hatte. Als Vang den Umschlag entgegennahm und die Treppe zum Empfang hochrannte, hörte er die Sirene von Patricks und Claes’ Einsatzwagen.
    Richard Wolter erwartete ihn an der Rezeption. Vang sah ihn bereits durch die Glastüren mit der großen 24; er schlug sich ungeduldig mit der Faust in die Handfläche. Vang hatte mit dem Gedanken gespielt, dass Wolter Aquarius sein könnte. Die Psychologen des Ermittlungsstabes hatten ihn davon abgebracht. Wolters einziges Motiv wäre, Aufmerksamkeit für die Nachrichtensendung zu schaffen. Gehörte Aquarius zur Belegschaft von Kanal 24, schlussfolgerten die Psychologen, müssten sie nach einem Mann zwischen fünfundzwanzig und vierzig suchen, der frustriert und bis zur Halskrempe voll unterdrückter Aggressionen steckte, der Probleme im Umgang mit Frauen hatte (was von krankhafter Schüchternheit bis zu Impotenz reichen konnte) und der alleine oder mit einer dominanten Mutter oder einem anderen, älteren (vermutlich weiblichen) Verwandten zusammenlebte.
    Wolter passte in keine dieser Kategorien. Er war zu alt, verheiratet, hatte zwei Kinder. Und er wirkte ausgesprochen ausgeglichen.
    Etliche Journalisten und Techniker hingegen waren leicht neurotische Junggesellen. Aber der noch wahrscheinlichste Kandidat, ein Redakteur um die dreißig, der bei seiner Mutter wohnte, war auf einem Seminar in den USA gewesen, als Una Mørch entführt und ermordet wurde.
    Vielleicht jage ich ja ein Phantom, dachte Vang.
    Nachdem sie sich per Handschlag begrüßt hatten und gerade Wolters Büro betraten, kam Kristin Bye mit Patrick und Claes angerannt. Ängstlich blickte sie von einem zum anderen.
    »Wo ist er?«, fragte sie stockend.
    Vang ahnte die Panik in ihrem Blick.
    Er zeigte ihr den Umschlag. Um seine Ruhe zu demonstrieren, begann er zu pfeifen. »Moonlight Serenade«. Vorsichtig öffnete er den Umschlag, streifte Latexhandschuhe über und zog die Videokassette und den Brief heraus.
    »Für Sie«, sagte er mit einem mitfühlenden Lächeln.
    Dann pfiff er weiter.

Liliths Paradies

I
    Mit klammen Fingern faltete Kristin den Brief auseinander. Als sie den Blick wieder von dem Bogen hob, musterte sie die Männer um sie herum. Wolter und Skaug saßen auf Wolters Arbeitstisch. Vang und seine Handlanger standen mit verschränkten Armen da. Ein Kameramann – der junge Yngve – war auf einen Stuhl gestiegen und machte Aufnahmen.
    »Soll ich laut vorlesen?«, fragte sie. Die Frage war überflüssig, aber sie wollte ausprobieren, ob ihre Stimme trug.
    Vang nickte.
    Sie sah auf die gedrungenen Blockbuchstaben. Der Brief war kurz. So kurz, dass sie ihn bereits erfasst hatte, ehe ihr auch nur ein Ton über die Lippen gekommen war.
    Unverständlich. Komplett unverständlich.
    »Kristin?« Wolters Stimme. Ungeduldig.
    Sie räusperte sich ein paar Mal.
    KRISTIN
    SIE TAPPEN IN DER FINSTERNIS OHNE LICHT, UND ER MACHT SIE IRRE WIE DIE TRUNKENEN. SO STEHT ES GESCHRIEBEN. LILITH IST HEIMGEKEHRT. BAPHOMET APPLAUDIERT!
    AQUARIUS
    Sie sah Vang nicht an, als sie ihm den Brief reichte. Er griff danach, überflog ihn schnell und steckte ihn in eine Plastiktüte. Dann ging er zu Wolters Videoapparat und schob die Kassette hinein.
    Kristin zog die Latexhandschuhe aus. Richard Wolter hielt die Luft an. Skaug kniff die Augen so weit zu, als wollte er nichts sehen. Vang stand reglos da, gefühlskalt.
     
    Die ersten Bilder zeigen eine Blumenwiese. Im Hintergrund Klänge von Bachs »Air«.
    Zwei Schmetterlinge schaukeln über das Gras. Die Blüten sehen aus wie hastig hingemalte Farbkleckse. Die Wattewolken am Himmel spiegeln sich in einem See mit Wasserlilien.
    Ein Paradies, dachte Kristin unwillkürlich, er will, dass wir an ein Paradies denken.
    Langsam gleiten die Bilder in ein anderes Motiv über.
    Marianne sitzt in einer Badewanne. Sie trägt einen schwarzen Bikini. Sie hat Angst.
    Die Füße und Hände sind mit einem Strick gefesselt, dessen eines Ende aus dem Bild herausführt. Sie schaut mit blanken Augen in die Kamera. Ihre Lippen bewegen sich, aber es ist nur die Musik zu hören.
    Jemand zieht an dem Strick.
    Sie stemmt sich dagegen, als sie nach vorn in die Wanne gezogen wird. Sie schreit (lautlos, sie hören nur die Musik).
    Der Kopf gerät unter Wasser. Ein paar Sekunden gelingt es ihr, sich so weit aufzurichten, dass das Gesicht aus dem Wasser ragt.
    Der Strick strafft sich noch mehr.

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