Tabu: Thriller
Sie wird nach unten gezogen. Ein Strom von Blasen steigt aus ihrem Mund.
Sie können sie deutlich sehen unter der Wasseroberfläche. Sie reißt die Augen auf. Wirft den Kopf hin und her. Aus ihrem Mund strömen unendlich viele Blasen.
Dann werden die Bewegungen langsamer.
Es kommen noch ein paar Blasen.
Der Körper zuckt.
Die Musik verebbt.
Die Kamera verharrt einige Sekunden auf dem sterbenden Mädchen in der Badewanne. Dann gleitet das Bild wieder auf die Blumenwiese. Eine Meise flattert durchs Bild. Eine Hummel, schwer vom Nektar, landet auf einer Lichtnelke. Der Kameramann richtet die Kamera in den Himmel, wo die Sonne Säulen von Licht zwischen den Wolken formt. Langsam werden die Buchstaben vor dem Himmel sichtbar:
The End
2
Sie war am Boden zerstört. Verzweifelt. Fühlte sich schuldig. Sie saß in einem Büro und starrte mit leerem Blick aus dem Fenster.
Sie hatte darum gebeten, allein sein zu dürfen. Claes und Patrick hatten stumm genickt und mit verschränkten Armen vor der Tür Stellung bezogen.
Manche Erinnerungen bewegen sich im Kreis. Früher oder später kommen sie zurück.
Vor acht Jahren hatte sie mit einem Freund namens Jan Urlaub auf den Kanaren gemacht. Am Tag vor ihrer Abreise hatte es heftig gestürmt; die Wellen hatten sich zu zwei Meter hohen Wänden aus Wasser aufgetürmt. Gemütlich zurückgelehnt in ihrem Sonnenstuhl hatte sie zugesehen, wie die Surfer und Schwimmer den Unterströmen trotzten, als ihre Aufmerksamkeit plötzlich auf etwas hinter den Wellen gelenkt wurde. Im ersten Moment glaubte sie, einen Hai zu sehen. Den ganzen Urlaub über hatte sie Angst vor Haien gehabt. Aber dann sah sie, dass jemand einen Mann auf den Strand zog, einen nicht mehr ganz jungen, dickleibigen Touristen. Er war äußerlich unversehrt (also kein Hai), aber sein Gesicht war blau angelaufen und der Körper ganz schlaff. Am Strand, nur wenige Meter von Kristin und ihrem Freund entfernt, versuchten sie, ihn wiederzubeleben. Mund-zu-Mund-Beatmung, Herzmassage, der ganze Spuk. Nach zwanzig Minuten kam ein Krankenwagen. Die Sanitäter warfen einen Blick auf den Mann, zogen ihm ein Laken über den Kopf und fuhren mit ihm davon. Kristin hatte während des gesamten Vorgangs reglos dagelegen. Das Taschenbuch (Stephen King? Koontz?) lag aufgeklappt auf ihrem Bauch, die Flasche mit Sonnencreme umgekippt zwischen ihren Beinen. Das Ganze war so verflucht unwirklich gewesen. Sie hatte zugesehen, wie ein Mann ertrunken war, wie sie vor ihren Füßen versucht hatten, ihn wiederzubeleben, und ihn am Ende weggebracht hatten. Es wurde langsam Zeit, den Rücken zu sonnen.
Jetzt war sie von genau dem gleichen Gefühl der Verwirrung und Hilflosigkeit erfüllt.
Sie versuchte, nicht an das Video von Marianne zu denken, aber trotzdem schoben sich die Bilder vor die Erinnerung an den toten Touristen am Strand. Hätte er sie noch eine Weile länger gefilmt, hätten sie sie blau werden sehen.
Sie machte einen kurzen Schlenker über Richards Büro, ehe sie nach Hause ging. Skaug hatte die Füße auf den Sitzungstisch gelegt, Richard auf seinen Schreibtisch. Beide rauchten.
»Wie ich sehe, wird hier schwer geschuftet«, sagte sie, um einen heiteren Ton bemüht.
Richard ging nicht darauf ein.
Skaug schnitt eine grinsende Grimasse.
»Toralf, du hast vergessen, die Zigarette nicht anzuzünden«, sagte Kristin.
Der Scherz verpuffte in der Luft. Skaug inhalierte, antwortete aber nicht, sah sie nicht einmal an.
»Wir werden die Aufnahmen nicht zeigen«, sagte Richard.
Er wirkte erschöpft. Resigniert. Allmählich schienen die Ereignisse auch an ihm zu zehren. Als sähe er langsam ein, dass die Dinge tatsächlich geschahen. Dass diese Geschehnisse nicht nur auf dem Monitor existierten.
Skaug kniff die Augen zu, massierte seine Nasenwurzel und schüttelte den Kopf.
»Gut«, sagte er.
Keiner von ihnen sagte etwas dazu.
Skaug seufzte, nahm noch einen Zug und behielt den Rauch in den Lungen.
»Wir sehen uns morgen«, murmelte sie vor sich hin. Leise zog sie die Tür hinter sich zu.
Der Verdacht
I
»Das ist zu einfach«, sagte Vang und sah die anderen herausfordernd an. »Viel zu einfach!«
Zu irgendeinem Zeitpunkt, der weiter zurücklag, als er sich selber gegenüber einräumen wollte, hatte er aufgehört, moralische Urteile zu fällen. Als er neu bei der Polizei war, hatten ihn alle sinnlosen Morde aufgewühlt. Er hatte sich verpflichtet gefühlt, den Täter zu fassen, um die moralische Ordnung
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