Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tabu: Thriller

Tabu: Thriller

Titel: Tabu: Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Egeland
Vom Netzwerk:
wiederherzustellen. Aber jedem Mord folgte ein weiterer. Er hatte gelernt, dass jeder Verbrecher ein Gesicht und eine Geschichte hatte, und eines Tages – er begutachtete gerade die Leiche einer übel zugerichteten Frau auf dem Boden einer Waschküche – hatte er plötzlich erkannt, dass die Jahre seine Empörung zu einer lebensmüden Resignation abgeschliffen hatten.
    Die Bilder von Marianne hatten einen Funken des alten Abscheus in ihm geweckt.
    Er konnte nicht sagen, wieso ausgerechnet Marianne diesen Effekt bei ihm auslöste. Una Mørch war eindeutig die beeindruckendere junge Frau gewesen. Anita Fjordvik war hübscher. Lag es vielleicht daran, dass er in Marianne ein kleines ängstliches Mädchen in einem allzu erwachsenen Körper sah?
    Jeder Mensch, jedes Leben, hat einen bestimmten Wert. So brutal ist die Wirklichkeit. Er hatte immer versucht, die Mordopfer nicht in eine Werteskala einzuordnen, was ihm aber nie gelungen war. Jede Leiche bekommt im Kopf eines Polizisten ein Preisschild angeheftet. Auch wenn er genauso viele Ermittler auf den Mord eines Obdachlosen ansetzte wie auf den Mord eines kleinen Mädchens, das Engagement war nicht das gleiche. Keiner brannte für die Sache, längst nicht alle Spuren wurden bis zum Ende verfolgt, und der Fall wurde sehr schnell zu den Akten gelegt. So einfach war das.
    Zum ersten Mal im Verlauf dieser Ermittlungen war er wütend. Er hatte den Überblick verloren. Fühlte sich hilflos. Und er wusste nicht, auf wen er wütender war: auf sich selbst oder auf Aquarius.
    Er versuchte, sich den Mörder vorzustellen. Das war eine Stärke von ihm, als hätte er hellseherische Fähigkeiten. Es gelang ihm zwar nie, konkrete Gesichtszüge oder andere Details heraufzubeschwören, aber zumindest bekam er so eine Innenansicht des Verbrechers, den er jagte. Eine Vorstellung von seiner Psyche und seinem Wesen. Die Vermutungen trafen verblüffend häufig zu. Aber Aquarius bekam er nicht zu greifen. Er löste keinen Sinneseindruck aus, keine Ahnung davon, wie er dachte, nichts. Er wusste nur eins: Wenn Aquarius früher oder später festgenommen wurde, würde sein Verteidiger ein psychiatrisches Gutachten vorlegen, das ihm geistige Unzurechnungsfähigkeit bescheinigte, und dann darauf plädieren, ihn in eine geschlossene Abteilung abzuschieben. Dabei wusste Vang eine Sache ganz sicher: Dieser Mann war nicht geisteskrank. Aquarius war amoralisch, rücksichtslos und brutal. Verschroben und bösartig. Ein psychopatischer und berechnender Sadist. Aber er war nicht geisteskrank.
    Er weiß ganz genau, was er tut, dachte Vang. Er hört keine Stimmen in seinem Kopf. Ist nicht von Dämonen besessen.
    Er weiß, was er tut.
    »Vang?«, sagte Antonsen vorsichtig, wie um ihn wieder in diese Welt zurückzuholen, zurück in die prosaische Wirklichkeit, in das Büro und die Sitzung, zu der Vang alle einbestellt hatte.
    Vang schaute blinzelnd auf. »Zu einfach! Viel zu einfach«, wiederholte er mechanisch.
    Die Blicke von Aksel Antonsen, Geir Ryvik und Elisabeth Gran flackerten unruhig, als müssten sie sich zurückhalten, einander anzusehen.
    »Nicht unbedingt«, wendete Antonsen ein. Seine Stimme hatte einen missgelaunten Unterton. »Wir haben uns etwas intensiver mit der Möglichkeit beschäftigt, dass er im Grunde genommen gefasst werden will. Vielleicht ist das seine Art, seine Identität preiszugeben.«
    »Es handelt sich schließlich um einen sogenannten Signaturmord«, hakte Ryvik ein. Etwas zu eifrig.
    Sie haben sich ausgetauscht, dachte Vang. Über mich. Wie ich die Ermittlungen führe.
    Er blickte auf seine schlanken Finger und weiter zu den fast zwanzig Jahre alten Akten des Falls. Die obere Polizeiakte war auf einer altmodischen Schreibmaschine getippt worden und mit Stempeln, Fallnummer und Bearbeitungsziffern sowie irgendwelchen unleserlichen Krakeln am Blattrand versehen. Der Text sah aus, als wäre er Buchstabe für Buchstabe ins Papier geritzt worden.
    »Trotzdem«, beharrte Vang nachdenklich. »Es ist zu einfach.«
    »Immer noch besser als nichts«, seufzte Elisabeth Gran. »Ich bin auch der Meinung, dass die Lösung eventuell…«, sie räusperte sich, »…zu offensichtlich ist. Fehlt nur noch die Visitenkarte, sozusagen. Aber Kriminalfälle sind schon aufgrund einer dünneren Beweislage gelöst worden als dieser.«
    Rune Strøm…
    Vang erinnerte sich nur noch vage an den alten Fall. Eine junge Frau war tot in der Badewanne ihrer Wohnung gefunden worden. Ihr Verlobter war im Laufe

Weitere Kostenlose Bücher