Tabu: Thriller
genau aus dem Grund heimsuchen.
Shere Khan miaut leise. So leise, dass er fast glaubt, es sich einzubilden. Der Laut holt ihn zurück in die Wirklichkeit. Er blinzelt. Das Wohnzimmer liegt im Dunkeln. Die schwindende Abendsonne vergoldet die Wände. Draußen, durch die Jalousien, sieht er ein Liebespaar auf dem Weg zum Waldsee.
Er weiß nicht, was er mit ihr machen soll.
Mit den anderen war es so einfach. Aber Frøydis bereitet ihm nur Probleme. Sie provoziert ihn. Maßlos. Was zum Teufel hatte sie in dem Park verloren? Warum musste sie ausgerechnet ihn nach dem Hund fragen? Und wieso hat er nicht einfach mit den Schultern gezuckt? Er hätte sagen können »Tut mir leid, ich habe keinen Hund gesehen« und hätte sich damit eine Menge Ärger erspart. Dann läge sie jetzt nicht wie ein unwillkommener Gast auf der Matratze im Keller, und er müsste sich nicht ihre Giftigkeiten anhören, ihren Blick ertragen und diesen permanenten Schmerz. Er pfeift nach Shere Khan. Der Kater hört nicht.
Er sieht Frøydis vor sich. Ihren Augenaufschlag im Park. Warum hatte sie ihn so tief in seinem Innern berührt?
Ich muss sie einfach nur umbringen, redet er sich ein.
Aber so einfach war das nicht. Damit bringt er das zugrundeliegende Muster durcheinander. Den Rhythmus. »Miez, Miez, Miez«, flüstert er in den Raum und reibt lockend Daumen und Zeigefinger aneinander. Shere Khan rührt sich nicht. Er lehnt den Kopf in den Nacken und atmet schwer durch die Nase. Nichts ist mehr wie vorher. Kristin Bye geht nicht mehr auf Sendung und wird rund um die Uhr bewacht. Wie gut, dass wenigstens das Problem bald gelöst sein wird. Er schnauft zufrieden. Bald .
Soll er Frøydis vielleicht als Trumpf in der Hinterhand behalten? Den er an dem Tag für sich nutzt, an dem die Wächter Kristin verlassen?
Wenigstens etwas, worüber er nachdenken kann. »Miez, Miez!«, flüstert er.
Frøydis hat sicher ihren Platz in dem Ganzen. Er muss nur rausfinden, welchen, den tieferen Sinn ergründen.
In der Zwischenzeit muss er sich ruhig verhalten. Den Dingen ihren Lauf lassen. Es kann nicht mehr lange dauern, bis etwas passiert. Außer sie stellen sich komplett dämlich an. Aber das sind sie nicht.
Natürlich könnte er ein Video von ihr an den Sender schicken. Nur, um sie daran zu erinnern, dass es ihn noch gibt. Und dass er sie jeden Tag von Neuem überlistet. Aber es ist nicht mehr das Gleiche, seit Kristin Bye nicht mehr die Moderation macht.
Die Luft im Wohnzimmer ist muffig und von der Sonne aufgeheizt. Mit geschlossenen Augen atmet er ein und lässt den Atem langsam wieder ausströmen und mit ihm all die schwarzen Gedanken.
Er will alle Schlacke aus sich herausschwemmen, um mit seinen inneren Strömungen in Kontakt zu kommen.
Schlägt die Augen auf. Lächelt.
Bald, denkt er erwartungsvoll. Bald werden all die losen Fäden zusammenlaufen. Einer nach dem anderen.
Und dann wird er hoffentlich wissen, was er mit Frøydis machen soll. »Miez!«, sagt er etwas lauter.
Er füllt seine Lungen mit goldener Luft. Bald .
Endlich erhebt sich Shere Khan und humpelt auf ihn zu.
Das Alibi
I
»Jetzt bricht die Hölle los«, sagte Elisabeth Gran.
Aus einem unerfindlichen, perversen Grund hatte Vang das Bedürfnis zu lächeln, entgegenkommend und freundlich.
Gran ließ sich vor ihm auf den Stuhl fallen. Wieder wanderte sein Blick zu ihren rot lackierten Fingernägeln. Ob sie ihrem Mann beim Sex den Rücken zerkratzt?, fragte er sich.
»Ådne hat angerufen. Er wollte uns mitteilen, dass Kristin Bye bei einem dubiosen Treffen mit Gunnar Borg war, der vom Dagbladet , du weißt schon. Oscar Lund war auch da.«
»Oscar?«
Sie nickte vielsagend. »Ådne sollte im Nebenzimmer warten, damit sie sich ungestört unterhalten konnten. Aber jetzt kommt das Schärfste: Nach dem Treffen hat sie die beiden aufgefordert, sie zu Strøms Adresse in Grefsen zu fahren, wo Ådne und Gustav zu ihrem Erstaunen eine Einheit beobachtet haben, die…«
»…die sehr diskret dort parkte, nehme ich an.«
»Ådne hat den Wagen wiedererkannt. Er glaubt nicht, dass Kristin Bye ihn bemerkt hat. Aber die entscheidende Frage ist doch: Wie hat Kristin Bye von Rune Strøm Wind bekommen? Haben wir ein Leck bei uns? Hat jemand mit Oscar über Strøm gesprochen?«
»Kristin Bye hat mich vor Kurzem angerufen. Gunnar Borg hat ein paar alte Artikel ausgegraben. Vermutlich ermitteln sie auf einer parallelen Schiene und denken in den gleichen Bahnen wie wir.«
»Journalisten?«, sagte
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