Taenzer der Nacht
eine Diener des Vulcanus, der andere Diener des Pria pus. Wenn er nachts sein Zimmer verließ und sah, wie sich die Nutten an der Third Avenue in ihren Hot pants und schwarzen rückenfreien Oberteilen versam mel ten, segnete er sie heimlich in seinem Herzen. Als er eines Nachts auf dem Weg zu einer Verabredung durch die Park Avenue eilte, sah er, wie ein ehemaliger Kollege seiner alten Firma Union Carbide gerade des Büro verließ. Er wartete hinter einer Säule, um nicht gesehen zu werden.
Er machte Sex um drei Uhr nachmittags in verlas se nen Lagerhäusern, in Hallen entlang des Flußufers, während breite Flecken von Sonnenlicht durch das zerstörte Dach fielen; er machte nachts Sex in eigen artigen Wohnungen hoch über der Stadt. Er machte Sex zur Stoßzeit in den Toiletten der U-Bahn-Stationen; er machte mittags Sex, um Mitternacht, um acht Uhr morgens; und er war immer noch allein. Er eilte kreuz und quer durch die Stadt, mit der U-Bahn, durch die Straßen, immer auf den Irrpfaden der Liebe. Und immer noch mußte er an Sonntagabenden sein Zimmer verlassen, um die unausweichliche Trauer dieser Ta ges zeit zu ersticken. Er machte Sex mit puertorica nischen Anästhesisten in Bellevue, Psychiatern und belgischen Firmenchefs, Dichtern und Piloten, Anar chisten und Bankleuten, Rechtsanwälten und Werbe tex tern, und er stellte fest, daß er nach den aufregend sten Liebesnächten im Bett oder in der Sauna immer noch mehr wollte. Er ging erst nur mit schönen Män nern ins Bett, dann mit durchschnittlichen, schließlich mit häßlichen; mit Juden, Italienern, Slawen, Brasilia nern, Holländern, Deutschen, Griechen und Arabern. Er schwor sich, mit niemandem mehr als einmal zu schlafen. Er wurde mager, eher noch schöner, seine Augen umschatteten sich und wurden geschwollen vor Lust: Er war ein Gefangener der Liebe.
Das Haus, Zentrum dieses Stadtteils wie eine große blaue Moschee, in dem Malone und ich lebten, war voller Leute, die in anderen Dingen gefangen waren. Die unteren Stockwerke wurden von älteren jüdischen Witwen bewohnt, die von Sozialhilfe lebten, und sich von einem Sandwich pro Tag ernährten, das ihnen der Laufbursche des Lebensmittelladens unten im Haus brachte. Einige polnische Paare waren aus der Zeit übriggeblieben, als dies noch ihre Gegend war. Es gab eine japanische Familie, denen der Stehimbiß an der Straße gehörte. Da war eine Frau, die beständig die ganze Nacht hustete, und die noch nie jemand bei Tag gesehen hatte. Da war ein trauriger junger Mann im Rollstuhl, dessen Cousin jeden Tag aus Queens kam, um ihn auszuführen. Es gab einen höflichen altmo di schen Deutschen, der seine Hunde dreimal am Tag spazieren führte und jeden höflich grüßte, als ob man sich auf der Ringstraße in Wien begegnete. Da war eine Familie vom Lande, die sich Tag und Nacht an schrie, und mit neunundzwanzig Hunden und Katzen zusammenlebte. Es gab den Kassenbeamten der Che mi cal Bank, der nach Hause kam, ein altes schwarzes Chanel-Kostüm anzog, eine Reihe Cole Porter-Platten auflegte, und sich jeden Abend auf seine Chaiselongue setzte, Dope rauchte und alte Ausgaben v on Vanity Fair durchblätterte. Und schließlich war da noch die Frau, die Malone immer so zu Herzen ging, allein schon ihr Anblick auf der Treppe, wie sie – eine tor keln de blonde Frau mit blaßblauen Augen, die auf jedem Absatz Luft holen mußte, bevor sie sich daran machen konnte, den nächsten zu erklimmen –, lächelte und sagte: „Gehen Sie nur vor“, wer auch immer hin ter ihr war. Sie war einmal recht hübsch gewesen, und lebte jetzt mit einem Mann zusammen, der sie jeden Abend anschrie, und sie schrie zurück. Einmal stolper te sie über einen Treppenabsatz und flog die ganze Treppe hinunter, aber sie war so betrunken, daß sie ein fach wieder aufstand und schwankend aus der Tür ging. Ihre feinen Gesichtszüge (die jetzt ganz bleich und faltig waren) hatten in diesem fluoreszierenden Licht des kotzbraunen Treppenhauses etwas so Trauri ges und so Resigniertes, daß es Malone immer im Herzen wehtat, und er sie nicht anschauen konnte oder ihr Parfüm riechen, ohne depressive Gefühle zu be kom men.
Hier war jeder ein Versager: gescheiterte Künstler, Künstler, die es nie probiert hatten, Leute ohne Ziel. Archer hatte beinahe seinen Doktor in Harvard in der Tasche, als er zu der Überzeugung kam, daß es ihm völlig egal war, was Blake für eine Auffassung von den angewandten Wissenschaften hatte, und er zog nach New York und
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