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Taenzer der Nacht

Taenzer der Nacht

Titel: Taenzer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Holleran
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lebte als Callboy. Er verbrachte t ä gli c h zwei Stunden in einem nahegelegenen Sportstudio, und seine Brüste waren jetzt größer als die seiner Mutter. Am Wochenende fuhr er in verschiedene Städ te entlang der Ostküste, nur um in Bars herumzu stehen und sich zu zeigen. Das englische Mädchen einen Stock tiefer kam aus einer sehr guten Familie und ließ sich immer von ihren schwarzen Liebhabern zusammenschlagen. Sie rief manchmal um drei Uhr morgens an, um zu sehen, ob jemand zu Hause war, während sie ihr Naturbrot buk, und ihr Liebhaber brach dann in die Wohnungen im Haus ein; und wenn man ans Telefon ging, fragte sie in ihrem Oxford-Eng lisch: „Entschuldigung, haben Sie zufällig etwas unge bleichtes Sojamehl?“
    Warum war sie – und jeder andere von uns – noch an diesem Ort, aus dem jeder, der auch nur einen Funken Verstand hätte, längst ausgezogen wäre? Die Miete war billig. Aber das war eine zu einfache Erklärung. Die Straßen waren aus Treibsand, die Luft ein geruch loses Gas, die Zeit verging, und wir konnten uns nicht aufraffen. Es war eben einfacher zu bleiben und die Sehnsüchte zu befriedigen, die uns vor allem hierher gebracht hatten; Begierden, die, einmal befriedigt, uns erschöpft zurückließen. Wir wurden wie die aschige Luft, die Feuertreppen, das Gewirr der Dächer und Wäscheleinen an einem feuchten Aprilmorgen. Wir wurden Geister. Und deshalb ging ich letzten Winter in die Discos, und arbeitete sogar in einer als Bedie nung. Es war das perfekte Leben für einen Geist wie mich ...
    Und geisterhaft – schwach, ohne eigenen Willen, oder eine Vision eines anderen Lebens – war ich jahrelang. Auch ich war der Liebe wegen nach New York gekom men, wie Malone, und als ich das erste Mal seine unglaublichen Augen sah, war ich schon so lange hier, daß ich es schon gar nicht mehr wußte. Am ersten Tag, den ich in diesem Haus verbrachte, war ich eine alte Frau besuchen gekommen, die in einer Wohnung im ersten Stock wohnte, zwei Räume nach hinten, voll mit dem flaschenblauen, milchigen Licht, das sich wie Leim am Grund der Lichthöfe dieser Häuser sammelte. Wie entsetzt war ich von diesem Licht! Wie lang genau ich da lebte, merkte ich erst, als ich eines Tage mehrere Jahre nach diesem Besuch die Treppe hinunter ging, und die alte Frau beim Briefkasten traf; sie drehte sich zu mir um, und sagte heiter, während sie ihren Schlüssel umdrehte: „Ach hallo, sind Sie immer noch da?“
    Ja, ich war immer noch da: gefangen, wie eine Fliege im Bernstein, verliebt in diese schmutzigen Straßen, die Dachfirste, die puertoricanischen Jungen, den klei nen Park um Mitternacht, wo ich immer einen Mann finden kon n te, der genauso hungrig war wie ich und mit vor Geilheit glühendem Gesicht an einem Baum stand, um sich abschleppen zu lassen. Ich war in die Stadt gekommen – wann, erinnerte ich mich nicht mehr – und blieb, und die Zeit hörte auf, sich messen zu lassen; überhaupt nichts wurde mehr gemessen außer dem kreisförmigen Fortschreiten der Liebe.
    In der Stadt ändert sich nichts: In einem Teil des Jahres wird es kalt, und heiß in einem anderen, aber keine Bäume verlieren ihre Blätter, kein Getreide reift, es gibt nur die Straßen, die Feuerleitern, den Himmel; das Telefon, das widerhallende Sportstudio, das en gels gleiche Gesicht eines italienischen Jungen, den du siehst, wie er Weihnachtsbäume verkauft, wenn du in einer kalten Winternacht von der Sauna nach Hause gehst; und er leuchtet vom Feuer, das er in einer alten Öltonne angezündet hat, um sich an seinem Stand an der Second Avenue warmzuhalten. Im Winter tanzt du immer, im Sommer gehst du an den Strand. Jedes Jahr liebst du etwas anderes: Orientalen im Jahr 1967, Italie ner 1968, Schwarze 1969, und bärtige Blonde 1970; und immer Puertoricaner, Engel, die die Gestalt von Boten jungen annehmen und an einem kalten Wintertag in Jeans, Tennisschuhen und alten Lederjacken darauf warten, die Straße zu überqueren. Du denkst an die Augen, schön wie kahle Bäume vor dem Himmel: nackt, kalt, wie sie dich einen Moment mustern und dann wegschauen. Die Jahre vergehen schnell, wenn man solche Augen liebt. Und du (der einst von älteren Männern geliebt wurde) merkst nur, daß du älter wirst, wenn dir auffällt, daß du jetzt Typen liebst, die jünger sind als du ...
    Wie konnte die Zeit so schnell vergehen? Wie konn ten fünf Jahre wie fünf Wochen erscheinen? Ich war hinter Typen her mit der nachlässigen Langsamkeit eines Mannes, der

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