Taenzer der Nacht
er jetzt ganz von Homosexuellen in Beschlag genommen war.
In diesem Moment kam Sutherland an und legte eine lange, dunkelgraue Robe über die Theke, mit Rüschen und wattierten Schultern, und sagte in seiner atem losen, vibrierenden Stimme:
„Ein Segen, daß ich es vor Babe Paley gefunden habe. Ganz zu schweigen von Marie-H é l è ne de Rothschild. Akzeptiert ihr Master Charge-Kreditkarten, Liebling?“ Plötzlich gähnte er und sagte dann: „Entschuldigung“, während er mit den Augen zwinkerte, um die Feuch tig keit zu entfernen. „Frankie hat heute früh um fünf angerufen“, sagte er zu Malone, als wir das Kleid ein pack ten und die Rechnung schrieben. „Reichlich daneben. Nicht nur, daß ich nicht wieder einschlafen konnte – und guter Schlaf ist das halbe Leben, Liebling –, sondern ich fange auch an, Angst zu bekommen, richti ge Angst.“ Und er gähnte schon wieder unbe herrsch bar.
„Wovor hast du denn Angst?“ fragte Malone.
„Er erinnert mich an die Ruiz Correas“, sagte Suther land und hob seine Zigarette zum Mund.
„Und wer ist das?“
„Die Familie, denen der Lebensmittelladen über der Straße von meiner Wohnung gehört. Ich habe sie vor zwei Wintern beim Gesundheitsamt angezeigt. Ich lebte noch Wochen danach in völliger Zurückge zogen heit und habe keinen Fuß auf die Madison Avenue gesetzt.“
„Aber warum denn nur?“
„Ich hatte solche Angst vor ihrer Rache. Ich war da mals besessen von dem Gedanken an den Tod der Herzogin von Cl e ves. Sie wurde während der Revolu tion umgebracht – natürlich, das arme Kind –, und nachher lief der Soldat, der sie im Gefängnis bewacht hatte, mit einem kleinen Schnauzbart aus ihrem Scham haar herum.“
Und damit verließen sie den Laden.
Eine Zeitlang danach sahen wir sie überhaupt nicht mehr. Statt dessen sah man in jenem Herbst ihre Gesichter in Interview und in der Washington Post: denn Sutherland hatte angefangen, sich auf höherer Ebene zu amüsieren, und Malone, der nichts anderes zu tun hatte, machte mit. Sutherland und Malone gingen zu fast jedem Eröffnungs-, Premieren-, Gala-und Wohl tätig keitsball, der gegeben wurde, und bei dem irgend ein Element der schwulen Gesellschaft (Mode, Theater, bildende Kunst) ein zeitweises Bündnis mit jener Ge sell schaft einging, deren Namen in monotoner Weise die Kolumnen füllen (die Paley, Guest, und Guiness). In diesem Zwischenreich blühten sie auf: lächelnd in schwarzer Krawatte neben Lee Radziwill oder Fran coise de la Renta, wie der Fotograf Malone verewigte, nicht in einer Pyramide, sondern in der Kolumne von Euge nia Sheppard. In der Bildunterschrift wurde er ein fach als Anthony Malone aufgeführt. Aber er war eigentlich ein mißglückter Partygänger. Was nicht zu Liebe oder Sex führen konnte, ließ Malone kalt. Er begleitete Sutherland, weil er nicht wußte, was er sonst noch hätte ausprobieren können; er ging sogar eine Zeitlang nachmittags mit ihm mit, die Taschen voller getrockneter Aprikosen, Cashew-Nüsse und Rosinen, um eine lange Nacht in den U-Bahntoiletten zu ver brin gen, wobei sie sich alle drei oder vier Stunden im Zug zwischen dem Grand Central-Bahnhof und dem Times Square trafen, um ihre Abenteuer auszutau schen. Er verließ die U-Bahn einen Monat später, aber rein war er nicht mehr. Da ihn das noch mehr isoliert hatte, begann er, mit jedermann zu schlafen. Er ging von der Ballnacht in Venedig in die mieseste Bar mit Dunkelraum, und stolperte um sieben Uhr früh aus einem Lastzug am Flußufer, den Smoking durchtränkt mit Pisse, sein Gesicht freundlich und nachdenklich.
Eines Nachts kamen sie nach einer Dinner-Party in schwarzer Fliege mit den ägyptischen Erbinnen und einem bekannten Innenarchitekten ins St. Marks-Film theater, um eine besonders ausgefallene Doppelvor stel lung zu sehen. Es wurden Einmal ist nicht genug und Mahogany vorgeführt, und das Kino war voll von Schwulen, Schwarzen und Puertoricanern, die ständig etwas nach vorne riefen. Nach der Hälfte des ersten Films trat ein Schwarzer einem Puertoricaner auf den Fuß, als er seinen Platz verlassen wollte, um etwas trinken zu gehen; er entschuldigte sich nicht, und der Puertoricaner, ein kleiner Mann in falschem Pelz und spitzem braunem Hut, sprang auf, lief dem Schwarzen hinterher und sagte: „Mann, ich habe ein Gewehr, ich schieß dir die Rübe ‘runter! Du bist mir auf den Fuß gestiegen, jetzt entschuldige dich!“ Der Schwarze ver schwand wortlos, und der Puertoricaner lief weiter
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