Taenzer der Nacht
einem völlig unverständlichen Grund, gerade der magische Zauberer ist, der Hexer, der eine, der uns alles gibt. Warum nur?“
Sutherland stand auf und seufzte. „Ich glaube, wir haben beide die Schaufenster bei Bendel’s zu ernst ge nommen. Wir haben Fieber im Hirn. Wir haben diese elementare Wahrheit vergessen: Wenn auch die Schau fenster bei Bendel’s jede Woche ausgewechselt wer den, wir werden es jedenfalls nicht.“
„Gehst du schon?“ fragte Malone.
„Ich habe keine Kassetten mehr“, sagte Sutherland. „Ganz zu schweigen von Zigaretten. Gute Nacht, süßer Prinz! Ich bin bis Donnerstag in East Hampton.“
„Tschü ß “, sagte Malone ruhig.
Wir saßen alle noch eine Stunde da – das einzige Geräusch war das von Malone, der von Zeit zu Zeit von Herzen seufzte. Schließlich stand er auf und ging weg, und wir standen auch auf und gingen durch das südliche Tor und marschierten die Second Avenue hinun ter in dem orangen Schein der neuen Sicher heits laternen. Die Nutten, die Penner, die Zuhälter, die Burschen, die sich von einer zu starken Dosis Tabletten erholten, die Abfälle, die vom Wind hin und her ge blasen wurden, die metallenen Deckel der Mülltonnen, alles stand wie im übernatürlichen, radioaktiven Strah len einer Atombombe. Es gab überhaupt keinen Schat ten. Auf der halben Strecke zum St. Marks Platz sahen wir Malone vor uns gehen; und als wir ihn einholten, grüßte er uns mit der geradlinigen Freundlichkeit, die seine Art war, und einem den Eindruck gab, überall woanders zu sein, nur nicht auf der Second Avenue um drei Uhr dreißig morgens, und er ignorierte den Penner, der uns um Geld bat, sich ein Bier zu kaufen. „Wie geht’s?“ fragte er und legte einen Arm um unsere Schultern. „Ich bin gerade in eurem Park gewesen. Ich liebe ihn! Habt ihr den Burschen gesehen, der mit seinem Irischen Setter kam? Diese wunderbaren Augen? Seine meine ich, nicht die des Hundes“, sagte er und lächelte. „Was für ein nettes, schönes, kultiviertes Gesicht. Ich wollte am liebsten aufstehen und sagen: ‚ Willst du mich heiraten?’ “ Er meinte damit einen gut aussehenden Bergbauingenieur, der in einer Stadtwoh nung im nordwestlichen Block am Park wohnte, und jeden Abend mit seinem Irischen Setter spazieren ging; er rauchte gewöhnlich eine Zigarette, und setzte sich hin und fing mit jemandem ein Gespäch an – in der angenehmsten, ruhigsten und freundschaftlichsten Wei se, gelassen, erwachsen und weise. Man verliebte sich sofort in ihn: in seine strahlend blauen Augen, seinen Schn ä a uzer, seine schlanke Gestalt, sein rotes Sweat-Shirt, seine Tennisschuhe, sein kastanien brau nes Haar, die ganze Art, wie er einen anschaute, mit dieser Mischung aus Humor, Intelligenz und ent spann tem Vertrauen.
Es war eine Zutraulichkeit, wie sie selten war in diesem Park; denn alle Frauen wollen von den Füßen gerissen werden. Warum standen so viele Männer stun den lang unbeweglich im Park, wenn nicht auf grund eines tiefen psychologischen Gesetzes, das eine Frau darauf zu bestehen läßt, daß der Mann ihr den Hof machen muß, sie verführen, sie wegholen? Der Bergbauingenieur hatte genau diese Lässigkeit und Zu traulichkeit. Wir liebten ihn alle, aber er ging nie mit jemandem nach Hause; er saß nebe n einem, rauchte seine Zigarette, du fingst schon Feuer, und er entschul digte sich – sagte, er müsse um sechs Uhr morgens aufstehen, um zur Arbeit zu gehen – und ging mit seinem Irischen Setter durch die Bäume zu seiner Woh nung. Das nahm uns den Atem. Und natürlich setzte er sich eines Abends auch neben Malone – der sogar den Ingenieur einen Moment nervös machte, bis er feststellte, wie liebenswürdig Malone war – und sie unterhielten sich mit dem größten Vergnügen aneinan der, und dann stand er zu Malones Verwunderung auf und sagte Gute Nacht. Malone war ganz von Sinnen. Er verliebte sich immer noch so schnell wie ein Back fisch. Das nächste Mal, als er den Mann sah, fast ein Jahr später, hatte sich Malone einen Bart stehen lassen, und als er zu Malone kam und sich eine Zigarette anzün dete und herüberlächelte, erinnerte sich Malone an alles, was sie sich vor einem Jahr erzählt hatten. Er dachte daran zu sagen: „Ich kenne dich, wir haben uns vor einem Jahr hier im Frühling getroffen. Hatte ich da schon meinen Bart? Egal. Du lebst jedenfalls seit sieben Jahren in New York, du hast es sechs Monate mit San Francisco probiert, aber du wolltest lieber näher an Europa sein,
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