Taenzer der Nacht
einmal geliebt hat, die große Liebe seines Lebens, als er jung war – oh, als er jung war – du solltest einmal das Foto sehen, das ich von ihm kenne: wie ein junger Gott.“
„Er ist wirklich sehr gut gebaut.“
„Gut gebaut? Du könntest deine Nylonstrümpfe auf seinem Bauch waschen.“
„Meine Nylonstrümpfe?“
„Er hat einen Waschbrett-Bauch“, sagte Sutherland. „Du weißt doch, all diese Höcker und Grate.“
Malone sagte nichts dazu.
„Wegen dieses Mannes haben sich Mädchen schon um gebracht“, sagte Sutherland atemlos. „Und er ent stammt wirklich einer ausgezeichneten Familie.“
Aber Malone rauchte nur weiter seine Zigarette und schaute schweigend dem schönen jungen Puerto rica ner nach, der gerade vorbeiging; er war immer noch in diese dunklen Augen, diese schlanken Engel verliebt, die Tag und Nacht auf den Straßen unserer Gegend herumliefen. Malone hatte sich immer noch die sehn suchtsvolle Erinnerung an diesen romantischen Traum bewahrt, an einen netten und schönen romanischen Jungen, der in irgendeinem Zimmer in seinen Armen lag, ein Traum, in dem die Dinge, die der Welt wichtig waren, völlig überflüssig wurden ... auch jetzt noch hoffte er, einen Jungen wiederzusehen, den er eines Nachts in jenem Winter gesehen hatte, als er auf dem Rückweg aus der Sauna die Second Avenue entlangging; eine so bitterkalte Nacht, daß die Leute, die Christ bäume auf den Bürgersteigen verkauften, leere Öltonnen mit Abfall gefüllt und angezündet hatten, um sich warm zu halten. Er hatte eine kleine Familie gesehen, und neben ihnen einen jungen Mann, der Malone durch die Flammen der Mülltonne hindurch ansah, mit dunkel leuchtenden Augen ... Augen, die er nie vergessen würde, und auch nicht die Flammen um drei Uhr morgens in einer kalten Winternacht an der Lower East Side. Auch jetzt konnte er das Gesicht nicht vergessen, und von Zeit zu Zeit lief er die ganzen Obst stände ab in der Hoffnung, ihn wiederzusehen.
Er fand ihn nicht, aber eines Tages traf er einen ande ren Jungen, genauso dunkeläugig, ernsthaft und schön: einen Bankbeamten, der an der Third Street neben dem St. Jude Friedhof wohnte. Er wollte Masseur werden. Als Malone ihn eines Abends besuchte, fand er ihn in der Badewanne sitzen und ein Buch über Anatomie lesen, im Licht von einem Dutzend Kerzen, die er auf den Fliesen in Untertassen aufgestellt hatte. Er kam jeden Abend von der Bank nach Hause, legte sich in die Wanne und lernte für sein Masseursexamen die Namen der Muskeln auswendig. Er sprach sehr wenig. Malone kniete sich neben die Badewanne und küßte ihn über dem schwach duftenden, grünen Wasser, wäh rend nur das leise Plätschern des Wasserhahns die Stille durchbrach. Sein he l ler Schwanz schwamm auf der Wasseroberfläche wie ein Seerosenblatt.
Malone kam sich vor wie in der Kirche vor den Rei hen von Kerzen in roten Glasbehältern, zu denen ihn seine Mutter als Kind geführt hatte, um für irgendeine Tante oder einen Onkel in Amerika zu beten. Er spürte einen eigenartigen Frieden durch seine Glieder fließen: die Wärme der Kerzen, ihre Flammen um ihn herum, die leicht feuchte Luft, der Dampf an der Decke, das plätschernde Wasser, und die Schönheit dieses jungen Mannes, der da in seiner Wanne lag und in einem Buch voller präziser Zeichnungen der menschlichen Mus kulatur las. Durch das halbdurchsichtige Fenster zeichneten sich die Umrisse von Bäumen ab. Viel spä ter liebten sie sich auf einer Matratze in seinem Zim mer, während die Schreie von auf der Straße spielen den Kindern heraufhallten; und als Malone ging, hatte er sich verliebt: nicht in den jungen Mann, sondern in den Gedanken an ihn, wie er mit seinem Anatomie-Buch inmitten der Kerzen in der Badewanne lag; und als Malone ihn das nächste Mal besuchen kam, saß er einfach bei ihm im Badezimmer und fragte nicht einmal, ob sie nicht miteinander schlafen sollten. Das darauffolgende Mal blieb er auf seinem Spaziergang hinter dem Friedhof in der Third Street stehen und schaute zwischen den Bäumen und Grabsteinen hin durch auf sein milchigweißes Fenster und betrachtete, wie die verschwommene Gestalt sich durch den Raum bewegte und Kerzen auf die Fliesen setzte. Es war sechs Uhr. Er war gerade von der Arbeit nach Hause gekommen, vermutete Malone, und setzte sich jetzt in die Wanne, um in seinem Buch zu lesen. Ein leichter Windhauch fuhr durch die Bäume. Die Straße war still, der Friedhof dunkel. Dort in der Dunkelheit der Um ris se der Bäume
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